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Mottoziele gegen Prüfungsangst

"Ich atme die konzentrierte Ruhe meines Wolfes!"

"Ich genieße die Souveränität des Adlers in mir."

"Wie ein Bulldozer pflüge ich durch mein Feld."

 

Das sind Mottoziele von Jugendlichen, die auf den ersten Blick ein wenig seltsam anmuten. Doch wer das Konzept von Maja Storch kennt, der weiß, dass nur der Zielerfinder wirklich etwas mit dem Ziel anfangen können muss. Es ist sehr persönlich.

 

Gestoßen sind wir auf die Mottoziele nicht im Zusammenhang mit der Überwindung von Prüfungsangst, sondern als wir auf der Suche nach Lösungen zum Thema Motivation in der Gymnasialen Oberstufe waren. Die Mottozielarbeit nach dem Züricher Ressourcenmodell (ZRM) von Maja Storch ist ein Werkzeug der Motivationspsychologie.

 

Mottoziele sind Haltungsziele, keine Ergebnis- oder Handlungsziele. Es wird also eine innere Haltung formuliert, die das Unbewusste in uns mit einbezieht. Auf diese Weise wird die selbstregulierende Willenskraft angeregt anstelle der selbstkontrollierenden.

 

Zum konkreten Beispiel in der Anwendung bei Prüfungsangst:

 

Henry, mein Beispielkind (oder besser junger Erwachsener) aus dem letzten Blog ist 20 Jahre und hat eine lange Geschichte mit der Prüfungsangst. Bereits auf der weiterführenden Schule ist er daran gescheitert und in der Berufsausbildung zum Speditionskaufmann hat sich die Angst zu Versagen zementiert, es hagelt 5en und 6en.

 

Das Allerwichtigste in einer solchen Situation ist, dass Henry wenigstens kleine Erfolgserlebnisse erlebt. Da ist eine 5+ schon ein guter Fortschritt, der gelobt werden muss. Eine 4- ein super Ergebnis. Je mehr solche positiven Erlebnisse Henry aneinanderreihen kann, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich seine Prüfungsangst verringert und er das gelernte Wissen wieder gut abrufen kann.

 

"Henry, wenn Sie nach drei Sitzungen bei mir sagen würden, dass sich der Besuch gelohnt hat: Was müsste dann passiert sein?"

 

1. Ziel

"Ich hätte keine Angst mehr vor Prüfungen und Klassenarbeiten und würde bessere Noten schreiben."

 

Ich hatte Henry im Vorfeld bereits erklärt, dass wir ein Mottoziel formulieren wollen und werde nun versuchen ressourcenreiche innere Bilder bei ihm zu erzeugen, indem ich ihm bestimmte Bildkategorien vorgebe.

Anmerkung: Frau Storch arbeitet wahlweise mit einer Fotokartei oder mit Wunschelementen, die ich hier beschreibe. Bei mir selbst funktioniert die Fotokartei besser, bei den Jugendlichen haben wir sehr gute Erfahrungen mit den Wunschelementen gemacht.

 

2. Wunschelemente finden

Ich schreibe nun die Bildkategorien an das Flipchart (zu finden im Buch"Ich packs" von Frau Storch für Jugendliche):

  • Tier
  • Pflanze
  • Person
  • Phantasiefigur
  • Fahrzeug
  • Naturerscheinung
  • ...

... und unterstütze den Nachdenkensprozess von Henry:

 

"Henry, angenommen, es gäbe ein Tier, das genau die Eigenschaften hat, die Sie sich für Ihre Zielerreichung wünschen. Welches Tier wäre das?

 

"Gibt es vielleicht eine Person in Ihrem Leben, die Sie bewundern? Das kann jemand aus Ihrer Familie sein, aber auch ein Promi, ein Sportler, ein Schauspieler, irgendjemand, den Sie toll finden?"

 

"Angenommen, Sie wären ein Auto: Welches Auto wären Sie da?"

 

Alle Bilder werden am Flipchart notiert: Bär, Ronaldo (Fußballspieler), Porsche Cayenne.

 

3. Eigenschaften (Fähigkeiten, Verhalten, Aussehen, Geschichten, Erinnerungen, Gefühle)

Als nächstes werden wir die Eingeschaften dazu notieren.

 

"Henry, wenn Sie jetzt ihre Wunschelemente so betrachten: Welche positiven Eigenschaften fallen Ihnen dazu ein?"

 

Bär: groß, kräftig, entspannt, überlegen

Ronaldo: konzentriert, schnell, wendig, gut trainiert

Porsche Cayenne: robust, schützt gut, komfortabel, klare Form

 

Fällt dem Schüler nichts mehr ein, ergänze ich die Eigenschaften um meine eigenen, ebenfalls positiven, Assoziationen.

 

4. Unterstreichen

"Henry, bitte unterstreichen Sie alle Wörter, die Ihnen ganz besonders gut gefallen!"

 

Die Auswahl soll immer - wie schon vorher - schnell und aus dem Bauch heraus erfolgen.

 

5. Mottoziel

Jetzt kommt der wichtigste Schritt: Aus den Begriffen und den schönsten Assoziationen soll ein Mottoziel gebastelt werden. Ein Satz, der den Schüler - einschließlich seines Unterbewussten - in der schwierigen Prüfungssituation hält und trägt.

 

Wenn der Schüler keine Idee hat, schlage ich Satzfragmente vor, z.B.

 

"Ich fühle mich wie Ronaldo, gut trainiert und konzentriert."

 

"Ronaldo ist gut, konzentriert auch. Aber ich möchte noch die Entspannung drin haben", antwortet mein Schützling.

 

Unter Umständen macht es Sinn den Schüler eine Woche über das Mottoziel nachdenken zu lassen. Er sollte sich nicht unter Druck gesetzt fühlen durch die Idee schnell einen Satz zu erfinden. Die Flipchartinhalte können fotografiert werden (Handy) und mitgenommen als Inspiration.

 

Im Falle von Henry tasten wir uns voran.

 

"Henry, es gibt sogenannte Jokerwörter, die häufig helfen, wie z.B.

  • Ich erlaube mir ...
  • Ich darf ...
  • Ich gönne mir ...
  • Ich genieße ...
  • Ich vertraue ...
  • Ich schenke mir ...

hilft Ihnen das vielleicht weiter?"

 

6. Erstes Ergebnis

Henry hat am Ende drei Sätze gefunden, die ihm gut gefallen:

  • Entspannt und konzentriert wie Ronaldo gehe ich meinen Weg.
  • Ich spüre meine entspannte Bärenkraft.
  • Im Schutz meines Porsche Cayenne vertraue ich auf meine Kraft.

7. Überprüfung

Damit die Mottoziele gut wirken, so Maja Storch, müssen sie bestimmte Kriterien erfüllen. Sie müssen:

 

a) positiv formuliert sein - so genannte Annäherungsziele

falsch wäre also: Ich bin nicht mehr aufgeregt in einer Prüfung.

richtig: Ich bin entspannt in einer Prüfung.

Hintergrund: Das Gehirn kann sich ein "nicht" nicht vorstellen. Denken Sie mal nicht an einen rosa Elefanten ...

b)  100% autonom sein - ich muss mein Ziel selbst in der Hand haben

falsch wäre also: Ich möchte von meinen Mitschülern gemocht werden.

richtig: Ich möchte meinen Mitschülern mutig gegenübertreten.

Hintergrund: Ich kann nur mein eigenes Verhalten ändern, das der anderen habe ich nicht in der Hand.

 c) sich gut anfühlen - die somatischen Marker (unbewusster Wissen- und Erfahrungsschatz) werden getestet

falsch: Ich möchte 3x die Woche Sport machen - falls Sport negative Gefühle bei mir auslöst, weil ich immer zuletzt auf der Bank saß.

richtig: Ich genieße trabend das Morgenlicht - falls diese Formulierung nur positive Gefühle auslöst.

Hintergrund: Alle Worte aus meinem Mottoziel werden per Affektbilanz überprüft. Sie sollen dabei 0% negative Gefühle auslösen und müssen mindestens 70% positive Gefühle auslösen. Tun sie das nicht, wird weitergesucht. Eine Affektbilanz sind einfach zwei vertikale Striche, einer für die positiven, einer für die negativen Gefühle. Nun wird angekreuzt auf einer Skala von 0% bis 100%.

 

Darüber hinaus sollte das Mottoziel:

 

d) in der Gegenwart formuliert sein

e) das Wort Ich enthalten

f) bildhaft und sinnlich sein

g) keine versteckten Vermeidungsziele enthalten

Beispiele: unerschrocken, furchtlos, stressfrei ...

 

8. Endergebnis

Nach der Überprüfung entscheidet sich Henry für:

 

"Konzentriert wie Ronaldo schieße ich meinen Ball ins Tor."

 

9. Erinnerungshilfen

So schön das Ziel auch ist, so motiviert der Schüler in diesem Moment auch sein mag: Wenn es nicht ständig im Alltag wiederholt wird, geht es verloren.

 

Zu diesem Zweck bitte ich den Schüler, sich nun mindestens drei stationäre und drei mobile Erinnerungshilfen zu überlegen, die ihn ständig im Alltag umgeben und an sein Ziel erinnern. Als Erinnerungshilfen können dienen: Schlüsselanhänger, Poster, Kleidungsstücke, Düfte, Musik, Klingeltöne, Bilder, Farben, Pflanzen ... was auch immer, Hauptsache, es erinnert einen an das Mottoziel.

  • Wer friert uns diesen Moment ein ... (Song)
  • Ronaldo als Hintergrundbild auf seinem Handy
  • Schlüsselanhänger mit Fußball (kann man mit zur Prüfung nehmen und in der Hand halten)
  • Kleine Fußballgummibärchen (kann man auch mit in die Prüfung nehmen)
  • Foto von Ronaldo auf dem Schreibtisch
  • Deutschland-Trikot (kann man zur Prüfung anziehen)

Außerdem nimmt Henry ein Erinnerungskärtchen mit seinem Mottoziel mit in die Prüfung. Das zeigt er natürlich vorher beim Lehrer vor, damit keine Missverständnisse entstehen.

 

10. Embodiment

Ein weiteres Element, um das Mottoziel ins Alltagsleben zu bringen, funktioniert mit Hilfe des Körpers.

 

"Stehen Sie jetzt bitte auf, lieber Henry, und stellen Sie sich einmal so hin, wie es Ihrer Mottozielhaltung entspricht."

 

Man muss dem Kind etwas Mut zusprechen, das ist doch eine etwas ungewöhnliche Aufforderung im Schulkontext. Wenn ich die Haltung als stimmig erlebe, dann fordere ich Henry auf, die Augen kurz zu schließen und sich auf diese Haltung zu konzentrieren.

 

"Bleiben Sie jetzt bitte in dieser Haltung und sehen Sie Ihr Mottoziel ganz klar vor sich. Sie sind Ronaldo. Sie konzentrieren sich auf den Ball. Sie schießen. Der Ball landet im Tor. Das Publikum jubelt. Sie haben es geschafft. Kosten Sie das Gefühl aus. Wo spüren Sie dieses Gefühl des Sieges? Merken Sie es sich. Halten Sie es ganz fest. Machen Sie nun eine kleine Geste, die zu diesem Gefühl passt. Prima. Nun öffnen Sie langsam die Augen und kommen in die Gegenwart zurück.

 

Immer wenn Sie jetzt in einer Prüfung sitzen und nicht weiter wissen, sehen Sie auf Ihr Mottozielkärtchen und machen Sie die Siegergeste. Das wird Sie an diesen Moment erinnern und wieder in Fluss bringen."

 

11. Zielsituation üben

Frau Storch empfiehlt in ihrem Buch am Ende dieses Prozesses die ganze Situation einmal trocken zu üben. Als Schwierigkeitsgrad sollte eine B-Situation gewählt werden, also eine mit mittlerem Schwierigkeitsgrad.

 

Ich kann nun mit Henry eine Prüfung simulieren.

 

Es empfiehlt sich, diese Simulation eine Woche später anzusetzen, denn Henry soll zunächst seine Erinnerungshilfen besorgen.

 

Wir spielen die Klassenarbeitssituation einmal ohne Mottozielkärtchen, Erinnerungshilfen und Siegesgeste durch und einmal mit. Dabei ist es wichtig so nah wie möglich an der Realität zu bleiben.

 

Nach dieser Übung frage ich Henry, was sich für ihn von der einen zur anderen Situation geändert hat.

 

Auf diese Art und Weise ist Henry schon mal "fast" in einer Prüfungssituation gewesen mit seiner neuen Ausstattung und seinem Körper und konnte positive Erfahrungen sammeln. Diese Erfahrung wird ihm in der nächsten "echten" Klausur hilfreich sein.

 

Damit sind wir auch am Ende unseres ZRM-Prozesses angenommen und ich werde Henry erst nach der nächsten Klausur wiedersehen, um ihn zu befragen.

 

Und wir sind auch am Ende des heutigen Artikels angekommen. Wenn Sie mehr über das ZRM erfahren wollen, dann empfehle ich Ihnen die Bücher von Maja Storch. Auch im Netz finden sich diverse Artikel und Beschreibungen zum Thema.

 

Sehr gerne können Sie auch Ihre eigenen Erfahrungen dazu posten.

 

Noch kurz in eigener Sache: Die letzten beiden Wochen war ich aus privaten Gründen nicht in der Lage, meinen Blogartikel zu schreiben. Erst musste ich - nach fast 20 Jahren Pause - noch einmal zwei Lehrproben vorbereiten, darüber dann in der nächsten Woche, dann bin ich krank geworden. Aus diesem Grund erscheint der Artikel nun zeitlich verzögert und auch der nächste wird wohl erst am kommenden Freitag erscheinen. Dann kommen die Osterferien und danach soll alles wieder seinen gewohnten Gang gehen.

 

In diesem Sinne: Eine schönes Wochenende und eine gute Woche

wünscht euch,

eure Ute

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