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Erster Präsenzunterricht nach Corona

Alle wieder da!

Am 23.4. - wir sind in NRW - sehen wir uns wieder: Meine Abschlussklasse, die während der digitalen Unterrichtszeit so fleißig war und  mir jeden oder jeden zweiten Tag Lösungen zugeschickt hat, die kleine Wettspiele mit mir gespielt hat auf dem Padlet "wer hat zuerst das Ergebnis?" und mit der ich eigentlich immer gut in Kontakt war. Dachte ich. Ich habe mir jedenfalls viel Arbeit gemacht, versucht alle meine Arbeitsblätter so aufzubereiten, dass sie einfach zu verstehen sind, für alle Rechnungen Beispiele gegeben und Schüler/innen (nicht immer, aber häufig) einzeln Feedback zu ihren Einsendungen gegeben.

 

 

Geteilte /Schüler/innen

Die Schüler/innen sind jetzt in drei Gruppen zu je sechs bis sieben Personen eingeteilt, drei Räume, ich wandere also von Stunde zu Stunde in einen anderen Raum zu einer weiteren Gruppe und erzähle dreimal dasselbe. Also mehr oder weniger.

 

Die Aufgaben wurden nicht selbst gemacht oder nicht verstanden

In der ersten Gruppe hat niemand die Aufgaben zur Prüfungsvorbereitung gemacht, die ich bereits vor den Osterferien aufgegeben habe und für die sie 2,5 Wochen Zeit hatten. Es ging um die Investitionsplanung und -rechnung und ich hatte den Schüler/innen die Aufgabe im Hinblick auf die Abschlussprüfung sehr ans Herz gelegt. In der zweiten Gruppe hatten zwei Schüler/innen die Aufgaben gemacht in der dritten sogar vier. Der Rest der Klasse: Schweigen. Ich saß erst mal einige Minuten da wie eine Kuh wenn's donnert, denn mit dieser Situation hatte ich gar nicht gerechnet. Als ich mich wieder gefasst hatte, fragte ich die Klasse, wie wir denn jetzt mit der Situation umgehen wollen und sie wollten, dass ich die Aufgabe vorrechne. Was ich dann gemacht habe. Eine Woche vor der Abschlussprüfung sind dann Erziehungsmaßnahmen nach dem Motto "wenn ich es dir vorrechne und du es nicht selbst zuhause ausprobierst, lernst du es auch nicht. Lernen vollzieht sich nur im eigenen Kopf mit selbstständigem Denken" auch überflüssig, finde ich. Um es kurz zu machen: In den anderen beiden Gruppen genauso. Nur waren wenigstens einige vorbereitet und konnten Fragen stellen.

 

Die guten Schüler/innen machen weiter, die anderen machen nichts

Die weiteren Tage waren wie der erste: Die Schüler/innen hatten gefühlt überhaupt nichts gelernt in der digitalen Zeit. Bis auf die löblichen Ausnahmen, das waren die Schüler/innen, die auch in den vergangenen zwei Jahren in der Lage waren, selbstständig zu lernen und regelmäßig Hausaufgaben zu machen. Obwohl ich nicht viel Frontalunterricht mache, hatte ich das Gefühl, die Schüler/innen hängen an meinem Tropf. Bin ich nicht da, fordere ich nicht auf, kontrolliere ich nicht, bin ich nicht PRÄSENT, passiert nichts bei ihnen. Sie haben offenbar gar nicht erkannt, dass sie nicht für mich, sondern für sich lernen. Weil SIE den Abschluss haben wollen. Wir sind in der Sekundarstufe II, nicht in der Grundschule, wohlgemerkt.

 

Digitales Homeschooling fordert noch viel mehr Selbstverantwortung

Nun schreien wir alle nach Digitalisierung. Und Deutschland ist so weit zurück. Und ich bin Informatiklehrerin, ich habe nichts gegen Digitalisierung. Ich bin interessiert, innovativ und bereit noch vieles dazuzulernen (im Moment gerade Apple). Aber ich glaube, dass meine Schüler/innen nicht an mangelnder Digitalisierung gescheitert sind. Obwohl nur 10% einen Drucker zuhause haben und das sicherlich hinderlich ist. Ich glaube, sie sind an ihrer fehlenden Selbstständigkeit, ihrem fehlenden Glauben an Selbstwirksamkeit und an der fehlenden Verantwortung sich selbst gegenüber gescheitert. Das ist die Baustelle. Die Phase des rein digitalen Unterrichts hat das nur sehr deutlich, ja überspitzt, gezeigt. Wenn da keiner neben mir sitzt - und die Klientel gehört nicht zu denen, neben denen die Eltern sitzen, sondern eher zu denen, die neben ihren kleineren Geschwistern sitzen und diesen helfen müssen - und keiner kontrolliert, was ich mache, dann mache ich - wenn überhaupt - nur das Mindestmaß. Oder gar nichts.

 

Wie sieht die Lösung aus?

Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Ich befasse mich schon so lange mit dem Thema Unterrichtsmethoden, kooperative Lernformen, Differenzierung, Lerntypen, aber Lehren und Lernen sind keine Einbahnstraßen. Solange mir die Schüler/innen nicht sagen, was sie brauchen, um selbstständig lernen zu können, solange werde ich im Dunkeln tappen. Solange sie in einer Konsumhaltung von den abgebenden Schulen zu uns kommen nach dem Motto "Ich setze mich jetzt mal hier hin und warte und du tust den Stoff in meinen Kopf", solange wird es schwierig bleiben.

 

Mein nächster Versuch - im September kommt die neue Unterstufe - ist ein Lerntagebuch in der Höheren Handelsschule. Das können wir digital machen. Oder per Hand. Wie jeder möchte.

 

Einige wenige Fragen:

  • Welches Thema habe ich heute bearbeitet?
  • Was habe ich gelernt? Was ist mir gut gelungen?
  • Was habe ich nicht verstanden? Was ist mir nicht gelungen?
  • Welche Maßnahmen habe ich ergriffen oder werde ich noch ergreifen, um die Schwierigkeiten zu beheben?
  • Sonstiges: Gefühle, Zusammenarbeit, positive und negative Anmerkungen, Hausaufgaben
  • Evt. Rückmeldung an Schüler/in (Lehrer/in-Feedback)

Entnommen aus: https://www.nuernberg.de/imperia/md/berufsschule_2/dokumente/bfs/lerntagebuch14_15.pdf

Sollten Sie Ideen haben, wie man die Selbstverantwortung von Schüler/innen für Ihre Lernergebnisse steigern kann oder auch Erfahrungen, ich bin Ihnen dankbar für ein Feedback, eine Anregung, gerne auch eine Mail.

 

Herzliche Grüße

Ute Matthias

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Anja Schepers (Samstag, 02 Mai 2020 16:20)

    Liebe Ute,

    ich habe meine Schüler noch nicht gesehen, aber ich fürchte es ist genau das Gleiche.

    Die, die immer schon gearbeitet haben, tun es auch jetzt.
    Das Mittelfeld schlägt sich so durch und einige, wenige tun nichts. Oder ich telefoniere täglich mit ihnen. Dann schon.

    Im Präsenzunterricht ging mir das aber auch schon auf die Nerven. Keine Eigeninitiative, kein eigenes Interesse.
    Bisher habe ich mich nicht getraut, es einfach mal laufen zu lassen. Nach dieser Zeit, werde ich es tun. Und ganz viel reden, bzw. reden lassen.

    Danke für deinen Text.
    Liebe Grüße
    Anja

  • #2

    Ute (Montag, 04 Mai 2020 08:05)

    Danke für deine Rückmeldung Anja!

  • #3

    Lisa (Montag, 04 Mai 2020 17:23)

    Beim Thema selbständiges Lernen, Lerntagebuch und Verantwortung für sein Lernen übernehmen denke ich immer an die (badenwürttembergischen) Gemeinschaftsschulen. Dort wird das meines Wissens generell praktiziert, die Lehrer*innen sind dort mehr Lernbegleiter*innen statt Wissensvermittler*innen. vielleicht könnte man von deren Lern- und Unterrichtsmethoden einiges übernehmen?