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Dominante Menschen mit Zeitproblemen - gibt's das?

Fall aus dem persönlichen Umfeld - geht das?

Der heutige Fall der dominanten Persönlichkeit mit Zeitproblemen kommt aus meinem persönlichen Umfeld. Das ist so eine Sache.

 

Im Freundeskreis zu coachen ist verpönt in der Coachingszene. Obwohl ich mancherorts begrüßt werde mit: "Gut, dass du kommst, du bist ja Coach, ...", woraufhin mir dann gerne ein Problem oder Thema aufgetischt wird, zu dem ich Lösungen ausarbeiten soll (oder der bereits gefundenen Lösung beipflichten)... Was also tun? Ein freundschaftliches Gespräch mit Coachingelementen geht, sagt mein Ausbilder. Maximal. 

 

Warum ist es so schwierig Personen zu coachen, zu denen man eine persönliche Beziehung hat? Ganz einfach: Man ist kein leeres Blatt. Will heißen, man hat oft eigene Ziele und Vorstellungen, wo die Person in ihrem Leben oder mit ihrem Problem ankommen sollte. Und das ist gegen die Coachingidee: Der Klient trägt die Lösung in sich und der Coach hilft nur bei der Geburt. 

 

Menschen mit dominanten Persönlichkeitszügen sind selten bei mir

Wie auch immer: Dass Dominante ins Coaching kommen, ist ungewöhnlich. Außer natürlich ins Karrierecoaching. Aber Schwierigkeiten, das ist häufig kein Thema für dominante Persönlichkeiten. Sie sind in der Regel sehr gut darin schnell das Wesentliche zu erkennen, ergebnisorientiert zu arbeiten und Ziele zu erreichen. 

 

Insofern war es ungewöhnlich, dass Dietmar mich um Rat fragte. Dietmar Kraft ist ein Kollege (Name geändert), der sehr ehrgeizig ist. Bis zum Schulleiter will er es wohl auf jeden Fall bringen, vielleicht sogar bis zum Dezernenten. Zweifel an seiner Leistung kennt er an sich nicht. Aber gerade wundert er sich, dass die Schüler*innen einfach nicht fertig werden mit den Arbeiten für den Wettbewerb. 

 

Also nicht, dass er sich einen Coachingtermin hätte geben lassen. Nein, er hat mich eher als "Auch-Wirtschaftslehrerin" mit Coachingkenntnissen angesprochen (denke ich). 

 

Ich will gewinnen

"Hallo Ute, wie weit bist du denn mit diesem Wettbewerb zum Thema Geld?"

 

"Ich mache nicht mit." (Ich hasse Wettbewerbe)

 

"Wie du machst nicht mit? Das ist doch total wichtig und welcher Lehrer will denn da nachher stehen und sagen, meine Schüler*innen haben da nicht mitgemacht? Also ich habe direkt den Antrag gestellt und die Arbeitsblätter gleich dazu erstellt. Die Gruppen habe ich so eingeteilt, dass in jeder Gruppe ein richtig starker Schüler ist, damit die auch vorankommen und was Gescheites produzieren."

 

"Na, das hört sich doch toll an. Und jetzt?"

 

Dietmar sieht mir direkt in die Augen.

 

"Jetzt wird dieser Verein von Anfängern nicht fertig. Tausend Ausreden. Ist nicht ihr Thema, haben zu wenig Vorkenntnisse, zu wenig Zeit und all so einen Blödsinn. Ständig gibt's Streit in den Gruppen. Immer muss ich hinter allem her sein. Abgabetermine setzen, kontrollieren, verbessern, echt, da kommste nicht mehr rum, sag ich dir."

 

"Warum hast du sie denn angemeldet, wenn sie gar keine Lust darauf haben?"

 

"Wie Lust darauf? Die sind in meiner Klasse und dann haben die Lust zu haben. Was ist denn das für eine Einstellung? Ist doch absolut super, wenn sie gewinnen. Sie bekommen dann Besuch von einem echten Broker und können dem alle Fragen stellen, die sie wollen. Und außerdem natürlich ein Artikel in der VLW-Zeitschrift. Ich sehe es schon vor mir: "Dietmar Kraft und seine GY haben den ersten Preis gewonnen!" - hey, wenn das nicht motiviert, dann weiß ich auch nicht mehr was dann noch motiviert."

 

Ja, dich, denke ich. Laut sage ich aber: "Hast du schon mal nachgefragt, was genau sie daran langweilig finden?"

 

"Ne, warum sollte ich? Sie müssen es ja sowieso machen."

 

"Naja, dann ist ja alles in Butter, Dietmar, oder?"

 

"Im Prinzip schon. Ich bin halt nur ziemlich eingespannt gerade und da dachte ich, dass du vielleicht das Klassenteamgespräch vorbereiten könntest und mich nur kurz informieren. Wär echt super, danke Ute."

 

"Äh nein, Dietmar. Ich bereite kein Klassenteamgespräch für dich vor, das musst du schon selbst machen."

 

Die Lage verschärft sich

Einige Tage später sehe ich Dietmar wieder. Er sieht nicht gut aus. Er kommt direkt auf mich zu.

 

"Können wir reden?"

 

Ich nehme ihn mit in unseren Beratungsraum und schreibe auf, was ich von ihm gehört habe. 

  • Schüler*innen arbeiten nicht schnell genug
  • Schüler*innen finden das Projekt langweilig
  • Schüler*innen streiten sich in den Gruppen
  • Lehrer muss alles kontrollieren und korrigieren
  • Lehrer sucht ständig neues Material zusammen
  • Lehrer ist in Zeitnot für die anderen Aufgaben, die wir leisten müssen
  • Lehrer will Wettbewerb gewinnen.

Fällt dir was auf?

Dann sehe ich Dietmar an: "Fällt dir was auf? - Wessen Projekt ist es?"

 

"Meins."

 

"Genau. Es ist dein Projekt und nicht das deiner Schüler*innen. Aber warum?"

 

"Weil ich es ausgesucht habe und sie nicht gefragt habe, ob sie mitmachen wollen."

 

"Warum gibt es so viel Streit in den Gruppen?"

 

"Weil ich sie eingeteilt habe nach Leistungsniveau. Ich wollte, dass in jeder Gruppe 1er, 2er, 3er, 4er/5er Leute vertreten sind. Damit alle ein gutes Ergebnis erreichen und wir gewinnen können.

 

Was soll ich denn jetzt tun, Ute? Wir sind angemeldet und wir müssen das Projekt durchziehen. Aber ich kann nicht mehr lange durchhalten bei dem, was ich jeden Tag nacharbeiten muss für die ganzen Leutchen da. Meine Frau ist auch schon sauer, weil sie jeden Abend alleine auf der Couch sitzt. Nur weil die Schüler*innen sich nicht anstrengen. Und nicht zukunftsorientiert denken wollen."

 

Wie wär's mit reden?

"Wie wärs mal damit, mit den Schüler*innen zu reden? Ihnen offen zu sagen, was dir das Projekt bedeutet und zu fragen, was ihr gemeinsam tun könnt, um es noch zu retten? Was die Schüler*innen motiviert, doch mitzuarbeiten?" (das ist coachingtechnisch nicht korrekt, denn ich mache einen Vorschlag ...)

 

In Dietmar arbeitet es. Die Schüler*innen fragen. Komische Idee. Aber was soll's, es scheint ja keinen anderen Weg zu geben.

 

Wieder einige Tage später sehe ich ihn. Er wirkt entspannter. 

 

"Und, wie schaut's Dietmar?"

 

"Ganz gut. Habe mit ihnen geredet. Mann, Mann, Mann. Haben erzählt, dass sie in selbst eingeteilten Gruppen arbeiten wollen und sich selbst ein Thema aussuchen. Aber die Themen stehen ja schon. Also wollen sie sich wenigstens selbst einem Thema und einem Team zuordnen können. Hätten sie ja auch gleich sagen können. Aber ja, habe ich halt jetzt zugelassen. Und vielleicht kriegen wir jetzt was hin. Wär ja toll ...." ... und schon ist er wieder weggeflitzt. 

 

Wie es ausgegangen ist

Es hat dann tatsächlich noch geklappt mit dem Wettbewerb. Nicht der erste Platz, aber der dritte. Immerhin. Dietmar war nicht ganz zufrieden, aber es ist doch besser ausgegangen, als er zuletzt dachte. 

 

Um es nochmal auf den Punkt zu bringen:

  • Dominante Menschen sind super darin, Wesentliches zu erkennen, Entscheidungen zu treffen, sie lieben den Wettbewerb. Sie sind schnell, ziel- und ergebnisorientiert, gute Zugpferde. 
  • Aber: Das kann ins Gegenteil umschlagen, wenn sie eben Entscheidungen über die Köpfe anderer Betroffener hinweg fällen, zu viel Druck ausüben, zu sehr forcieren, wenig Geduld haben und vor allem zu wenig zuhören.

Wenn sie lernen, andere Menschen mehr wahrzunehmen und deren Meinung zu hören und sie damit besser ins Boot nehmen zu können, werden sie noch stärker. 

 

Also: Das war kein echtes Coaching, sondern eher ein Kollegen*innengespräch mit Coachingelementen ...

 

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Sonntag und einen guten Start in den November

Ihre Ute Matthias

 

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