
Ein konkretes Detail sagt oft mehr als tausend Beschreibungen.
Wenn wir von Menschen schreiben, die uns viel bedeuten, greifen wir oft zu großen Worten: "Sie war warmherzig", "Er war streng", "Ich liebte sie sehr." Das ist richtig - aber noch nicht berührend. Denn solche Worte bleiben abstrakt. Leser (und auch wir selbst!) möchten Bilder, Geräusche, Düfte - etwas, das wir sehen, hören, fühlen können.
Der amerikanische Journalist Roy Peter Clark sagt:
"Wenn in deiner Geschichte ein Hund vorkommt - sag uns, wie er heißt." Damit mein er: Werde konkret. Sag nicht: "Meine Oma war lieb." Zeig uns, wie sie dir den Löffel mit dem letzten Teigrest überreichte. Oder wie sie mit dir auf dem karierten Sofa lag und Märchen erzählte.
Meine Oma - mit Kittelschürze und Teigrädle
Meine Oma Lustnau war die beste Oma der Welt. Sie trug geblümte Kittelschürzen - eine Woche die eine, die andere Woche die andere - mehr hatte sie nicht. Sie hatte weißes dauergewelltes Haar (Fräulein Meier, einmal waschen und legen, bitte) und lustige Omahausschuhe, so braune Stiefelchen mit Plastikabsätzen. Ich bin bei ihr aufgewachsen, jedenfalls tagsüber. Wenn meine Eltern zur Arbeit gingen, lief ich die Treppe nach oben und sie wartete schon auf mich.
Tagsüber machte sie den Haushalt. Ich lief ihr hinterher und wollte helfen. Sie sagte dann: "Wenn Kinder das könnten, dann würde man Kinder das tun lassen." Also auf schwäbisch: Das klang dann so: "Wenn Kender des könna däda, no dät mr Kender des do lassa!".
Mittags legte sie sich aufs Sofa - ein hellbraunes mit dunkelbraunen Streifen - und erzählte mir Märchen während sie "grubte" (das schwäbische Wort für ausruhen). Ich liebte das. Sie erzählte vom Rotkäppchen, das die Großmutter im Wald besuchen wollte und ich höre sie noch heute sagen: "Warum hast du denn so große Ohren? - Damit ich dich besser hören kann ..." Der Rest ist bekannt, aber ich fürchtete mich nicht.
Oft stand sie mit mir am Küchentisch mit der Eckbank. Dort machte sie Maultaschen - mit dem Teig vom Bäcker (immer Donnerstags auf Vorbestellung) und dem Teigrädle, mit dem sie eher grobe Vierecke ausschnitt. Ich dufte manchmal helfen. Immer lobte sie mich: "Ha du bisch a echte Künschtlerin!" Sie selbst aß aber am liebsten "Luggeleskäs" - "des man i so arg", sagte sie dann immer.
Manchmal fuhr sie mit mir zu Verwandten in Poltringen, richtig auf dem Land, mit Plumsklo. Wenn wir uns dazu ins Auto setzten, rief sie meinem Opa zu: "Adolf (er hieß leider so), bind de a!" (Schnall dich an). Selbst als Opa schon leicht dement war, fuhren sie noch so durch die Gegend. Oma dirgierte ihn. "Jetzt musch halda, s'isch rot." Überhaupt war Oma gerne unterwegs. Einmal fuhren wir zur Tante Fränzi und dem Oberförster. Tante Fränzi hatte sich den Fuß gebrochen und Oma musste aushelfen. Wir waren zwei Stunden vor Abfahrt des Zuges auf dem Bahnhof in Lustnau, weil Oma immer Angst hatte, den Zug zu verpassen. Leider hat sie mir das "vererbt". Tatsächlich sind wir dann in den falschen Zug eingestiegen, weil Oma es einfach nicht mehr aushalten konnte, bis er endlich käme.
Aber meine Oma war nicht immer fröhlich, sie war manisch-depressiv. In manischen Phasen nähte sie eine ganze Galerie aus Plüschtieren - manchmal hatten die Katzen Hundeköpfe, weil alles immer "schnell, schnell" gehen musste. In den depressiven Phasen saß sie im Sessel udn sagte leise: "Oh Ute, mir isch so verdleidet." Dieser eine Satz - "Mir isch so verdleidet" - hat sich bei mir eingebrannt. Er sagt mehr über ihre Depression, als jeder medizinische Bericht es könnte.
Ich denke oft an sie – an das Lachen, das Teigrädle und diesen einen Satz, der mich bis heute begleitet.
Schreibimpuls
Erinnere dich an einen geliebten Menschen aus Ihrer Kindheit.
Was war der eine Satz, der eine Gegenstand, der eine Geruch, der eine Moment, der diese Person für dich unvergesslich macht?
Schreib über diesen Menschen - aber nicht abstrakt. Zeig ihn oder sie uns. Wie hieß ihr "Hund"? wie war ihre Stimme, was sagte sie immer wieder, wie war das Licht im Raum?
Ich wünsche dir viel Freude mit diesem Impuls und eine gute "Erinnerungszeit"!
Herzliche Grüße
Ihre Ute Matthias