· 

Auf Reisen: Schreibend unterwegs mit allen Sinnen

Zwei Sommertage, ein vertrauter Raum und das Fernweh im Gepäck: In meinem Seminar Auf Reisen– Biografisches Schreiben mit Coachingelementen machten wir uns gemeinsam auf den Weg. Nicht mit Koffer und Zugticket, sondern mit Stift und Erinnerung – und das war mindestens genauso abenteuerlich.

 

Zu heiß?

Die Teilnehmer*innen kannte ich bereits aus früheren Kursen. Die Hitze hatte neue Interessierte wohl abgehalten, doch so entstand eine ganz besondere Vertrautheit. Ein Schreibraum, in dem Offenheit selbstverständlich war und sich nach und nach innere Türen öffneten.

 

Erste Geschichten zeigen sich

Wir begannen mit einer Interviewrunde, in der Geschichten hervorlugten wie Reisesouvenirs aus alten Taschen. Danach durfte geschrieben, vorgelesen, gelauscht und gestaunt werden. Besonders berührend war für mich zu sehen, wie sehr sich alle in ihre Reisen zurückversetzten ließen – und dabei Dinge erkannten, die ihnen vorher nicht bewusst waren. Erinnerungen, die erst beim Schreiben ihre Bedeutung entfalteten.

 

Blau, gelb, grün - Farben als Erinnerungstüren

Ein Highlight der Teilnehmer*innen am ersten Tag war der Impuls mit den Farben:

„Ich erinnere mich an etwas Blaues… an etwas Gelbes… an etwas Grünes…“

Die Idee sich über Farbimpulse zu erinnern führte wie von selbst zu lebendigen Bildern und am Schluss auch zu fast poetischen Verdichtungen – ganz nah an der Sinneswahrnehmung, ganz nah am Gefühl.

 

Blau, blau, blau wie der Himmel über der Dune du Pilat,

Gelb, gelb, gelb wie die Segel der Gleitschirmflieger

Grün, grün, grün wie die Kieferndächer am Stellplatz

Das und noch viel mehr war die Atlantikküste.

 

Wenn Schuhbeutel sprechen und Tagebücher protestieren

Auch das Schreiben aus der Sicht eines Gegenstands brachte überraschende Perspektiven hervor.

Ob aus dem Inneren eines Wanderschuhs, durch das Objektiv eines Fotoapparats oder mit dem unergründ-lichen Blick eines Bären – plötzlich wurden Blickwinkel verrückt, Bedeutungen verschoben sich, Dinge meldeten sich zu Wort. Da sprach der treue Schuhbeutel, der einst die noble Haarbürstenausstattung beherbergte und später – ganz pragmatisch – die unentbehrliche Klorolle. Das Reisetagebuch protestierte leise gegen allzu intime Einträge, und irgendwo kicherte ein faltiger Waschlappen. Leichtigkeit und Tiefe durften sich abwechseln – ganz wie unterwegs.

 

Magische Momente und Mückenzelte

Und natürlich blieben einige Reisebilder besonders haften:

– Ein Grenzübergang mit einem mulmigen Gefühl.

– Eine Wüstenwanderung, bei der die Kälte der Nacht den Klogang erschwerte.

– Ein Zelt voller Mücken – und eine überraschende Reaktion: Augen wieder zu.

– Eine Begegnung mit einem Bären – still, eindrücklich, magisch.

 

Komposition, Konflikt und kleine Formen mit großer Wirkung

Am zweiten Tag ging es um Komposition und Erzählperspektive: Wo beginnt die Geschichte eigentlich? Was war vorher? Was hat sich während der Reise verändert? Wir arbeiteten mit Clustern, Anfangssätzen, inneren Konflikten – und übten uns im Verdichten: Elfchen, Zevenaar, Haiku. Kleine Formen mit großer Wirkung. Die von den Teilnehmer*innen nicht immer geliebt werden – denn wer gerade lange geschrieben hat, mag es nicht einfach wieder kürzen. Und dennoch: Es zeigt die Essenz einer Geschichte.

 

Manchmal reicht ein einziger Satz

Was mich auch sehr berührt hat, war ein Moment ganz am Ende. Ich fragte in die Runde, ob jemand ein kurzes Feedback geben wolle – und bekam unter anderem diese leise, klare Antwort:

„Ich bin so erfüllt – ich möchte jetzt eigentlich gar nichts mehr sagen. Ich will dieses Gefühl noch ein bisschen bewahren.“ Mehr braucht es manchmal nicht.

 

Fortsetzung erwünscht

 

Zum Abschied waren sich alle einig:
Diese Reise soll nicht die letzte gewesen sein.
Im nächsten Jahr wollen wir wieder aufbrechen – mit Stift, Erinnerung und neuen Geschichten im Gepäck.
Für diesen Workshop lag der Fokus nur auf einer Reise. Doch im Gepäck lagen viele – und einige möchten noch zu Wort kommen. Ich freue mich schon jetzt auf die Fortsetzung!

 

Ich habe schon vorgearbeitet ;-) 

Schon jetzt wächst die Idee für die nächste Reise-Schreibwerkstatt. 2026.
Meine eigene Inspiration liegt schon bereit: Erinnerungen an die Île de Ré – diesmal nicht im Notizbuch, sondern als Sprachmemos auf dem Handy festgehalten, später verdichtet und neu geordnet. Vielleicht wird genau daraus unser nächstes Thema:
Wie wir schreibend unterwegs sind – mit der Stimme, mit der Erinnerung, mit dem Herzen.

 

Ich freue mich schon jetzt auf neue Texte, neue Perspektiven – und vertraute und neue Schreibgefährt*innen.

 

Habe ich dir Lust auf Reiseschreiben gemacht? Dann fang direkt an!

 

✍️ SCHREIBIMPULS FÜR DICH

„Mein Koffer hätte einiges zu erzählen …“

Stell dir vor, dein Koffer (oder Rucksack, Sporttasche, Seemannssack…) bekommt eine Stimme.

Was würde er über eure letzte gemeinsame Reise berichten?

Was hat er gerochen, geschleppt, ertragen?

Welche Szene hat er beobachtet – ohne dass du es gemerkt hast?

Und was würde er dir gern mal sagen, wenn du ihm endlich zuhörst?

Schreib aus seiner Sicht – eine halbe Seite genügt.

Und wenn du magst: Lass am Ende deinen Koffer eine Frage an dich stellen.

(Sei gewarnt – er weiß vielleicht mehr über dich als du denkst.)

 

In diesem Sinne ganz viel Freude und denkt daran: Schreiben ist Reisen mit dem Stift!

Herzliche Grüße

Ute Matthias