
Neulich habe ich in einem meiner Manuskripte gelesen ...
und bin über eine Passage gestolpert, die mich selbst hat aufseufzen lassen. Nicht wegen des Inhalts – der war mir wichtig –, sondern wegen der Sprache. Ich hatte Formulierungen benutzt, die ich schon tausendmal gelesen und gehört habe: „reiß dich zusammen“, „die Stunden dehnen sich ins Unendliche“, „mein Körper ist nicht mehr das, was er einmal war“.
Kennt ihr das? Man liest so etwas und spürt: Das Bild trägt nicht mehr. Es ist plattgedrückt wie ein alter Teppich, über den schon zu viele Füße gegangen sind. Wir verstehen zwar sofort, was gemeint ist, aber innerlich nicken wir nur noch ab – da passiert nichts mehr.
Es gibt dafür sogar einen Begriff: „tote Metaphern“. Bilder, die früher einmal stark waren, die aber so oft wiederholt wurden, dass sie ihre Leuchtkraft verloren haben. „Schnell wie der Wind“. „Leicht wie eine Feder“. „Stark wie ein Bär“. Wir kennen sie alle – und genau deshalb bewirken sie nichts mehr.
Aber wie findet man neue Metaphern? Bilder, die wirklich überraschen, die etwas sichtbar machen, das bisher unbenannt war?
Drei Wege zu frischen Bildern
1. Genau hinsehen und fühlen.
Statt „schwer wie Blei“ frag dich: Wann habe ich mich zuletzt so schwer gefühlt? Vielleicht beim Tragen der vollen Einkaufstaschen, beim Aufstehen nach einer schlaflosen Nacht, beim Blick auf eine endlose To-do-Liste.
2. Die eigene Lebenswelt nutzen.
Die besten Metaphern liegen in deinem Alltag. Wer viel mit Kindern zu tun hat, wird andere Bilder finden als jemand, der am Meer lebt. Was für mich Kreidestaub oder ein kaputter Fahrstuhl ist, ist für dich vielleicht der nie fertig werdende Garten oder die quietschende Straßenbahn.
3. Überraschende Verbindungen wagen.
Oft entstehen lebendige Bilder, wenn man Dinge zusammenbringt, die auf den ersten Blick gar nicht zueinander passen: „Die Stille saß neben mir wie eine ungeduldige Katze.“ Genau diese Irritation
macht die Sprache lebendig.
Ein Beispiel aus meinem (unveröffentlichten und unfertigen) Roman
Ich möchte euch zeigen, wie so etwas in einem Text aussieht. Hier zuerst die Fassung, in der ich noch ganz automatisch auf alte Bilder zurückgegriffen habe:
Variante mit abgenutzten Metaphern
Ich öffne die Tür zum Lehrerzimmer um 9 Uhr, zwei Kollegen sind schon da. Einer starrt in sein iPad, der andere schreibt etwas in die Zeugnisbögen. Mein lautes „Guten Morgen“ wird kaum erwidert. Nicht weil die Kollegen unfreundlich sind, einfach weil jeder in seinem Tunnel ist.
Ich schaue auf meine Uhr, heute ist Montag, der schlimme Tag. Ich beginne zwar erst zur 3. Stunde, muss dafür aber bis zur 9. arbeiten. Ich spüre Schwere in mir. Stehe auf, raffe mich auf. Muss noch kopieren.
In den ersten beiden Stunden habe ich Informatik. Die Schüler*innen haben zwar alle iPads, aber meist wollen sie dennoch noch ein Arbeitsblatt. Obwohl ich schon alles auf TEAMS hochgeladen habe. Ich mache mich an die Arbeit. Hole die Unterlagen heraus und laufe zum Kopierer. Es sind noch vier Wochen bis zu den Sommerferien, ich habe das Gefühl, die Wochen, Tage, Stunden, die ich hier bin dehnen sich ins Unendliche. „Eva Sandner, reiß dich zusammen!“ sage ich zu mir selbst auf dem Rückweg ins Lehrerzimmer.
Seit Monaten tut mir der Rücken weh, auch die linke Hüfte schmerzt beim Gehen. Ich will den Fahrstuhl benutzen, aber er ist mal wieder kaputt. Ich bin 58 Jahre alt und mein Körper ist nicht mehr das, was er einmal war.
Und jetzt die überarbeitete Version, in der ich versucht habe, eigene, frischere Metaphern zu finden – nah an meinem Erleben, nicht aus der Schublade:
Variante mit frischen Metaphern
Ich öffne die Tür zum Lehrerzimmer um 9 Uhr, zwei Kollegen sind schon da. Einer starrt in sein iPad, der andere kritzelt Zahlen in Zeugnisbögen, als müsse er ein Rätsel lösen. Mein lautes „Guten Morgen“ verpufft wie Kreidestaub in der Luft. Nicht weil die Kollegen unfreundlich sind, einfach weil jeder in seiner eigenen Blase steckt.
Ich schaue auf meine Uhr. Montag – der schwerste Brocken der Woche. Ich beginne zwar erst zur dritten Stunde, muss dafür aber bis zur neunten ausharren. Ein Gewicht liegt auf mir, als hätte jemand einen nassen Sack über meine Schultern gelegt.
In den ersten beiden Stunden habe ich Informatik. Die Schüler*innen haben zwar alle iPads, doch trotzdem wollen sie das Arbeitsblatt auf Papier. Obwohl ich es längst auf TEAMS hochgeladen habe, liegen die Dateien dort wie unbeachtete Geschenke, die niemand auspackt.
Noch vier Wochen bis zu den Sommerferien. Jede Woche zieht sich wie Kaugummi, dem längst der Geschmack fehlt. Auf dem Rückweg ins Lehrerzimmer höre ich mich murmeln: „Kopf hoch, auch wenn
der Hals dreckig ist.“ So hat man es mir früher eingebläut. Heute klingt das anders. Meine Schultern brennen – und trotzdem richte ich mich Schritt für Schritt auf:
"Eva Sandner, Schultern zurück."
"Eva Sandner, Füße fest auf den Boden."
"Eva Sandner, Kopf hoch.“
Seit Monaten meldet sich mein Rücken, die linke Hüfte schmerzt bei jedem Schritt. Ich will den Fahrstuhl nehmen, aber er ist wieder einmal außer Betrieb. Mit 58 fühle ich mich manchmal wie die knarrenden alten Kreidetafeln, die längst einem digitalen Modell Platz gemacht haben.
Seht ihr den Unterschied?
Die erste Version erzählt zwar, was passiert – aber die Bilder sind abgenutzt, sie lassen den Text stumpf wirken. Die zweite Version holt Vergleiche aus meinem Alltag. Das ist manchmal unbequemer, manchmal schräg, aber es macht den Text lebendig.
Vielleicht probiert ihr es selbst einmal: Sucht euch einen eurer Texte und ersetzt eine alte Metapher durch ein Bild aus eurer eigenen Welt. Ihr werdet merken: Plötzlich atmet der Text.
1. Übung: Alltag beobachten
- Thema: Abgenutzte Metaphern im Alltag ersetzen
- Schreib den Satz: „Ich bin heute müde wie ein Hund.“
- Streiche die Metapher „wie ein Hund“ und ersetze sie durch ein Bild aus deinem eigenen Alltag.
- Frag dich: Wann war ich zuletzt so müde? Nach einem bestimmten Tag, einer Tätigkeit, einem Erlebnis?
- Beispiele: „Ich bin heute müde wie nach drei Stunden Warten in der Arztpraxis“ oder „…wie nach dem Treppenputzen im Mietshaus meiner Oma.“
- Schreibe 3 Varianten auf.
2. Übung: Gefühle bebildern
- Thema: Schwere und Leichtigkeit neu beschreiben
- Wähle ein Gefühl, das du gerade kennst (z. B. „Schwere“).
- Statt die übliche Metapher „schwer wie Blei“ zu verwenden, beschreibe ganz konkret, wie sich das Gefühl in deinem Körper zeigt.
- Übertrage das in ein Bild.
- Beispiel: „Die Schwere in mir sitzt wie ein zu voller Rucksack auf meinem Rücken.“
- Dann nimm das Gegenstück: „Leichtigkeit“.
- Schreibe auch dafür ein persönliches Bild.
- Beispiel: „Leichtigkeit fühlt sich an wie der Moment, wenn ich am Strand die Schuhe ausziehe.“
3. Übung: Erinnerungen nutzen
- Thema: Eigene Kindheitserlebnisse als Quelle für Bilder
- Denk an deine Kindheit: an Gerüche, Geräusche, Gegenstände, Spiele.
- Nimm eine verbrauchte Metapher wie „schnell wie der Wind“.
- Erinnere dich: Wann warst du in deiner Kindheit „schnell“? Beim Wettrennen, beim Fahrradfahren, beim Wegrennen?
- Schreibe daraus ein neues Bild.
- Beispiel: „Ich war schnell wie das Klappern meiner Rollschuhe auf dem Gehweg.“
- Notiere mindestens zwei Kindheitserinnerungen als Bilder.
So entstehen ganz automatisch frische, persönliche Metaphern – aus deinem Alltag, aus deinem Körpergefühl und aus deinen Erinnerungen.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Ausprobieren dieses Tipps!
Herzliche Grüße
Ute Matthias