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"Ich find mich gut!" - Mitarbeitsnoten

"Na, Merve, wie sehen Sie sich denn im letzten Quartal in puncto mündliche Mitarbeit?"

"Hm, Frau Matthias, ich kann mich nicht gut einschätzen."

"Das ist aber schade, Merve, denn nur wenn Sie sich selbst einschätzen können, dann wissen Sie, wo Sie stehen, und wohin Sie sich entwickeln wollen und was Sie dafür tun müssen!"

 

Ich plädiere dafür, dass die Schüler/innen sich vor dem Mitarbeitsnotengespräch Gedanken darüber machen, wo sie notentechnisch ihrer Meinung nach stehen. Dafür gibt es in meiner Schule eine Vorlage mit verschiedenen Kriterien wie Beteiligung am Unterrichtsgespräch, Beteiligung an kooperativen Lernformen, Qualität-Sachkompetenz-Fachwissen, Eigeninitiative-Selbstständigkeit und Kommunikationsverhalten. Je nach Alter der Schüler/innen wird dieses Raster wohl anders aussehen, aber Gedanken machen können sich meiner Meinung nach alle Schüler/innen, sofern man ihnen vorab die Kriterien mitteilt. Mit solchen komplexen Kriterien und deren Abstufungen müssen sich Schüler/innen genauer befassen und man gibt ihnen am besten eine Woche Zeit für die Selbsteinschätzung.

 

Einfachere Muster wie, "wenn du dich durchschnittlich wenigstens einmal pro Stunde meldest und der Betrag qualitätsmäßig im guten Bereich liegt, ist das in etwa eine drei bei mir", sind schneller bewältigbar. Man kann in diesem Fall die Schüler/innen direkt vor dem Gespräch mit 5-10 Minuten Überlegzeit zu einer Einschätzung der eigenen Leistung kommen lassen.

 

Im Fall von Merve muss ich ein bisschen nachhelfen:

"Merve, Sie hatten sich in der letzten Runde ungefähr bei einer schlechten zwei gesehen. Das hatten Sie begründet dadurch, dass Sie sich in der Regel mehrfach pro Stunde am Unterricht beteiligen und in Stillarbeitsphasen zügig mit dem Arbeiten beginnen und wenig Hilfe einfordern. Allerdings sagten Sie selbst, dass Sie auch immer wieder "Durchhänger" haben, Stunden, in denen Sie sich gar nicht beteiligen und wenig motiviert sind. Wie hat sich Ihr Verhalten seitdem verändert?"

 

Merve ist eine Weile still. Wir beide sitzen auf dem Flur (bei offener Klassenzimmertür, die restlichen Schüler/innen haben einen Arbeitsauftrag, die Klassensprecher achten auf die Lautstärke) und zwar nicht gegenüber, sondern in einem rechten Winkel zueinander. Dies ist wichtig, weil man beim Gegenübersitzen Fronten aufbaut, die noch verstärkt werden, wenn man einen Tisch zwischen sich schiebt. Und wir wollen ja keine Fronten, sondern einen offenen Austausch - allerdings auch keinen Notenbasar, aber das ist selten und recht einfach zu unterbinden.

 

Dann sagt sie: "Ich habe im Moment zuhause ziemlich viel zu tun, denn meine Mama ist im Krankenhaus und so muss ich für meine drei kleineren Geschwister und meinen Vater sorgen. Da ist immer viel zu tun und ich komme nicht so viel dazu, mich auf den Unterricht vorzubereiten und Hausaufgaben zu machen. Nach der Schule muss ich meist erst mal einkaufen gehen, dann kochen, putzen, nach den Geschwistern und deren Hausaufgaben sehen und wenn endlich alles geschafft ist, bin ich so müde, dass ich einfach nur noch ins Bett falle..."

 

Das ist meine Erfahrung mit "Sonstigen-Mitarbeitsnoten-Gesprächen". Sie sind ungemein wertvoll und obwohl es viel Zeit kostet, mit jedem Schüler, jeder Schülerin, einzeln zu sprechen, nehme ich mir die Zeit. Nicht in jeder Runde in jeder Klasse, aber doch jedes halbe Jahr (ich habe sechs verschiedene Klassen, bin in zweien auch Klassenlehrerin). Hier erfahre ich nicht nur, wie es den Schüler/innen in der Schule geht, sondern auch zuhause und im Betrieb. Ich höre über gesundheitliche Beeinträchtigungen, über die sie sonst nicht sprechen, z.B. chronische Erkrankungen oder Sehstörungen, alles Dinge, die wichtig sind, um sie besser verstehen und gegebenenfalls eingreifen zu können.

 

Merve nagt auf ihrer Unterlippe.

"Brauchen Sie Hilfe", frage ich? "Ich könnte einen Termin bei unserer Sozialpädagogin für Sie vereinbaren, sodass Sie sich beide einmal ausführlich darüber unterhalten können, wie man Ihre Situation zuhause verbessern kann."

"Danke, ich denke mal darüber nach. Ich glaube, Mama wird bald entlassen und ich hoffe, dass ich dann wieder etwas entlastet bin. Wenn nicht, komme ich gerne auf Ihr Angebot zurück, Frau Matthias."

"Die Note müssen wir aber trotzdem festlegen, Merve. Wo sehen Sie sich denn nun? Hand aufs Herz?"

"Ich denke, schlechter als im letzten Quartal, vielleicht bei einer 3-?"

"Ja, Merve, das sehe ich genauso. Ihre Beteiligung am Unterricht ist auf jeden Fall zurückgegangen - wenn auch aus verständlichen Gründen - und liegt bei durchschnittlich höchstens einmal pro Stunde. Bitte versuchen Sie in der Stunde wirklich dran zu bleiben, wenn es Ihnen möglich ist und sich wieder mehr zu beteiligen. Das gleicht dann auch die eine oder andere schlechtere schriftliche Note aus. Wäre das eine Möglichkeit für Sie?"

"Das versuche ich. Und sobald Mama wieder zuhause ist, werde ich wieder so eine gute Schülerin wie vorher. Versprochen, Frau Matthias."

 

Gerade habe ich einen bösen Sprüch über Noten auf pinterest (Quelle: debeste.de) gelesen:

Ich bin so alt, dass ich noch selbst für schlechte Noten verantwortlich gemacht wurde, nicht der Lehrer.

 

Wir tun den Schüler/innen (oder auch unserern Kindern) keinen Gefallen, wenn wir sie Glauben machen, dass andere für ihre Noten verantworlich sind. Denn nur wenn sie es selbst sind, dann können sie auch etwas daran ändern. Das möchte ich ihnen gerne vermitteln. Bei allem Verständnis für ihre Situation und auch mit jedem Hilfeangebot, das uns zur Verfügung steht, wenn sie tatsächlich in Not sind.

 

Was sind Ihre/Eure Erfahrungen mit dem Thema Sonstige Mitarbeitsnoten?

 

Herzliche Grüße

Eure Ute Matthias

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