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Ruheinseln im Unterricht

"Sagen Sie mal, Frau Matthias, denken Sie, das interessiert irgendjemanden, was Sie da erzählen?"

"Wieso haben Sie die Klausur nicht korrigiert? Ist doch Ihr Job, oder?"

"So wie Sie das erklären, versteht das doch kein Mensch!"

 

Es gibt Situationen im Unterricht, da möchte man einfach weg. Da merkt man innerlich, dass man - je nach Persönlichkeit - gleich tierisch wütend wird oder in Selbstzweifel zerfällt. Da sind 24 Schüler/innen und ein Lehrer. Ein ungleiches Kräfteverhältnis. Was soll man tun? Von hinten schleicht sich schon ein leichter Kopfschmerz den Nacken herauf ... man starrt in eine Menge von Gesichtern der Schüler und Schülerinnen, die einen beobachten, genau sehen wollen, wie verhält sich der Lehrer, wenn man ihn auf diese Art provoziert oder angreift?

 

Denkt man: Die sind nicht böse, die wollen nur spielen?

Denkt man: Jetzt muss ich hier aber richtig zeigen, wer das Sagen hat?

Denkt man: Weshalb sind die so sauer? Was habe ich nur falsch gemacht?

 

Die Ursachenanalyse ist sicher sinnvoll, aber dies ist nicht der richtige Moment dafür. Für den Umgang mit solchen Situationen haben sich bei mir folgende zwei Strategien bewährt:

  1. Ich gehe für eine kurze Auszeit an meinen "Sicheren Ort".
  2. Ich verwende die Gewaltfreie Kommunikation.

Heute schreibe ich über das erste Thema: "Sicherer Ort", am nächsten Freitag über die Anwendung der Gewaltfreien Kommunikation in solchen Situationen.

 

Der sichere Ort braucht ein wenig Vorbereitung. Suchen Sie sich eine ruhige Situation zuhause, in der Sie für eine halbe Stunde ungestört sind. Gut geeignet ist auch der Abend, wenn man gemütlich in seinem Lieblingssessel sitzt oder sich gerade ins Bett gelegt hat (außer man ist so müde, dass man direkt einschläft). Legen Sie sich etwas zum Schreiben bereit.

 

Entspannen Sie sich nun, indem Sie einige Male tief ein- und ausatmen, achten Sie darauf, wie sich Ihr Bauch beim Atmen hebt und senkt. Wenn Sie mögen, können Sie die Augen schließen. Fühlen Sie, wie Ihr Körper immer schwerer wird und in die Unterlage hineinsinkt. Dann machen Sie in Gedanken eine kleine Reise an einen schönen Ort, einen Ort, an dem Sie ganz entspannt sind und sich sicher und geborgen fühlen. Dieser Ort kann ein Ort sein, den Sie wirklich kennen oder auch ein Ort, den Sie sich ausdenken, das ist nicht wichtig, wichtig ist nur, dass er Ihnen Sicherheit vermittelt.

 

Sagen Sie sich selbst: Ich fühle mich wohl, es geht mir gut, ich bin hier sicher und geborgen.

 

Dann sehen Sie sich an diesem Ort gut um:

Wie sieht es an diesem Ort aus?

Was können Sie dort beobachten?

Was hören Sie an diesem Ort?

Welche Geräusche sind dort?

Was spüren Sie an diesem Ort?

Was fühlen Sie?

Riechen Sie vielleicht etwas?

Können Sie etwas schmecken?

 

Setzen Sie auf diese Weise noch eine Weile fort, sodass sich der Ort so plastisch wie möglich in Ihnen entfaltet und Sie ihn mit allen Sinnen aufnehmen können. Saugen Sie alle Eindrücke in sich auf!

 

Sagen Sie sich: Es geht mir gut. Ich fühle mich sicher und geborgen.

 

Wenn Sie merken, dass Sie nun völlig an diesem wunderbaren sicheren Ort sind, dann können Sie einen Anker setzen: Drücken Sie mit dem Daumen der rechten Hand die Fläche zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand. Halten Sie kurz fest. Lassen Sie dann wieder los. Machen Sie dann kleine Schnappschüsse von Ihren Eindrücken. 

 

Nun atmen Sie noch ein paar Mal bewusst ein und aus, beschleunigen Sie Ihren Atem leicht und kommen Sie dann mit geschlossenen Augen ganz langsam und sachte zurück. Bewegen Sie vorsichtig Ihre Finger, Ihre Zehen, die Hände und Füße. Räkeln und strecken Sie sich. Zum Schluss öffnen Sie ganz langsam die Augen.

 

Machen Sie jetzt Notizen zu all dem, was Sie auf Ihrer Phantasiereise wahrgenommen haben. Folgen Sie den Fragen, die Sie weiter oben im Text finden, halten Sie alles fest, was Sie erlebt haben. Auf diese Weise festigen sich Ihre Erlebnisse.

 

Vielleicht mögen Sie die Übung an zwei bis drei weiteren Tagen noch einmal wiederholen und das Erlebte wiederum ankern und schriftlich festhalten.

 

Damit schaffen Sie die Voraussetzungen dafür, dass der Sichere Ort auch wirklich abrufbar ist, wenn Sie ihn brauchen. Z.B. in Unterrichtssitutionen wie der oben genannten.

 

Manchen Menschen brauchen eine Hilfsperson für diese Übung, die ihnen den Text vorliest, während sie die Augen geschlossen haben. Bitten Sie dann einen Menschen Ihres Vertrauens darum.

 

Und dann probieren Sie's aus. Immer dann im Unterricht, wenn Sie sich gestresst fühlen oder unter Druck gesetzt. Treten Sie für einen kleinen Moment aus dem Kreis heraus (möglichst auch, indem Sie einen Schritt zurücktreten) und drücken Sie Ihren Ankerpunkt, der Sie im Idealfall sofort an Ihren Sicheren Ort führt. Auch hier gilt: Übung macht den Meister. Manche Menschen brauchen zusätzlich noch eine Erinnerungshilfe, sodass sie im entscheidenden Moment auch daran denken, dass sie diese Ressource zur Verfügung haben. Dazu eignet sich alles, auf das Ihr Blick während der Stunde öfter fällt, z.B. ein Inselanhänger an Ihrem Schulschlüsselbund, der auf dem Pult liegt. Oder ein besonderer Ring. Oder ein Aufkleber auf Ihrer Klassenmappe.

 

Nach einem richtig stressigen Unterricht mache ich immer einen Spaziergang. Stress-Situationen schütten im Körper Adrenalin aus und das muss ich wieder loswerden. Ablaufen hilft da. Nach einer Weile werde ich ruhiger und bin dann auch in der Lage aus der Entfernung mit der Analyse der Situation zu beginnen.

 

Doch: Was sag ich nun meinen "Kindern" in der oben genannten Situation?

 

Dazu schreibe ich nächste Woche! Und bis dahin freue ich mich, wenn Sie/ihr mir schreibt, wie Sie/ihr mit dem Sicheren Ort zurecht kommt und welche alternativen Stratigien Sie/ihr benutzt!

 

Bis nächste Woche also!

Herzliche Grüße

eure Ute Matthias

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