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Ich! Ich! Ich! - Life Skills in der Schule

Es ist Mittwochmorgen, Unterricht in einer Berufsschulklasse, Thema Personalauswahlverfahren.

"Jetzt findet euch bitte in fünf Gruppen zusammen, dort erarbeitet ihr dann arbeitsteilig das Interview, die Einstellungstests, das Assessment Center, den Biografischen Fragebogen und das Thema Graphologie."

Es gibt eine kurze Unruhe und dann sitzen die Schüler/innen so, wie sie immer bei einer Gruppenarbeit mit selbstgewählten Mitgliedern sitzen:

  • Die Leistungsstarken in einer Gruppe zu fünft
  • Die Coolen in einer Gruppe zu fünft
  • Die zwei Studienabbrecher bilden eine eigene "Gruppe"
  • Die zwei türkischen Mitschüler bilden eine eigene "Gruppe"
  • Die vier leistungsschwächeren Schüler bleiben übrig und tun sich auch zusammen

Gehe ich anders vor und teile die Gruppen selbst ein, entweder nach dem Zufallsprinzip oder nach der Stärkere+Schwächere-Methode gibt es Unruhe in der Klasse. Für mich ist das ein Zeichen mangelnder Sozialkompetenz. Und obwohl bereits die Lehrpläne der Grundschulen Sozialkompetenztraining einschließen, kommen bei mir (Sekundarstufe II) oft Einzelkämpfer an. Besonders im Berufsschulbereich. Da die Übernahmechancen bei den Unternehmen oft stark von den erzielten Prüfungsnoten abhängen, ist das auch nicht weiter verwunderlich. In den IHK-Prüfungen wird Fachkompetenz abgefragt - alle anderen Kompetenzen aus den Lehrplänen  (hier z.B. Kaufmann/frau im Groß- und Außenhandel, S. 20) bleiben unberücksichtigt.

 

Je länger ich Lehrerin bin, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass Life Skills (darunter verstehe ich nach WHO psychosoziale und interpersonale Kompetenzen) eine grundlegende Bedeutung zukommt und wir ihnen einen festen Platz in unserem Stundenplan einräumen sollten - auch in den Klassen der Berufsschule.

 

Aus diesem Grunde beschäftige ich mich regelmäßig mit dem Lions Quest Programm "Erwachsen Handeln" und will heute und in die folgenden zwei Wochen Möglichkeiten aufzeigen, wie man mit Übungen aus dem Modul 1 "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. In Gruppen zusammenarbeiten" die Voraussetzungen für eine lernförderliche Atmosphäre in der Klasse schafft. Ich kann dieses Programm nur jedem Lehrer wärmstens ans Herz legen, weil es meiner Meinung nach gut durchdacht ist und viele Bausteine enthält, die eine individuelle Anpassung an die situativen Bedingungen verschiedener Schulen und Schulformen ermöglicht.

 

Ich halte es für wichtig, direkt zu Beginn des Schuljahres in der Unterstufe mit dem Programm anzufangen und es zumindest für ein Jahr kontinuierlich fortzuführen. Ich habe zu diesem Zweck von meiner Schulleitung eine Extrastunde in meiner Klasse erhalten und kann jetzt - nach einem dreiviertel Jahr LQ - mit Gewissheit sagen, dass es in meiner Klasse keine Außenseiter gibt. Natürlich gibt es Präferenzen mit wem man gerne arbeitet und es gibt Freundschaften unter den Schüler/innen, aber es ist möglich in jeder Konstellation in Gruppen zusammen zu arbeiten und die Atmosphäre in der Klasse wird von Kollegen oft gelobt.

 

Der Anfang

Die Klasse kommt herein und die Schüler kennen sich untereinander kaum. Es ist recht still und eine allgemeine Verunsicherung ist zu spüren. Manche Schüler haben sich bereits einige Tage im Betrieb kennengelernt, viele sind aber auch alleine in ihren Unternehmen. 

 

Ich habe in der Klasse bereits einen Stuhlkreis vorbereitet, was die Schüler natürlich in der Berufsschule sehr ungewöhnlich finden, doch ich halte mich an die Worte meines Coachingausbilders "wenn ihr es gut findet und dahinter steht, werden es auch die Klienten gut finden".

 

Ich stelle mich kurz vor und sage, dass wir mit einem Namenskennenlernspiel anfangen und danach jeder kurz erzählt, in welchem Betrieb er/sie gelandet ist und wieso er diese Ausbildung zum Großhandelskaufmann/frau machen möchte.

 

Durch die Kreisform wird klar, dass jeder Schüler einen Platz in dieser Klasse haben wird, dazugehören kann.

 

Das Namenskennenlernspiel erinnert an "Ich packe in meinem Koffer":

 

"Ich bin Ute Matthias und packe in meinen Koffer für die nächsten drei Ausbildungsjahre ganz viel Motivation. Sie fahren jetzt fort, wiederholen alle Nennungen Ihrer Vorgänger und setzen Ihren Vornamen und einen passenden Gegenstand mit gleichem Anfangsbuchstaben dazu."

 

"Ich packe in meinen Koffer Motivation für Frau Matthias und einen Kompass für mich. Ich bin Katharina."

 

"Ich packe in meinen Koffer Motivation für Frau Matthias, einen Kompass für Katharina und einen Kugelschreiber für Karsten."

 

Als wir einmal rum sind, haben alle die Namen schon ein paar Mal gehört und ein bisschen zusammen gelacht, wenn jemand besonders originelle Gegenstände genannt hat. In einer zweiten Runde besprechen wir, wie die Auszubildenden zu ihrem Ausbildungsberuf gekommen sind und wie ihre ersten Erfahrungen im Betrieb sind. Dann ist die Stunde um und die Schüler gehen lachen und quatschend aus dem Raum, sind schon ein bisschen miteinander warm geworden.

 

Erst in der Folgestunde komme ich dann zur Vorstellung des Faches, des Lehrplans und dem Organisatorischen.

 

Soweit also erst einmal zu Teil 1. In Teil 2 geht es um die Entdeckung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, über die man immer wieder auf andere Art und Weise ins Gespräch kommen kann.

 

Kommentare sind ausdrücklich erwünscht.

 

Ich wünsche allen eine gute Restwoche und herzliche Grüße

eure Ute Matthias

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