Es ist Donnerstag, Unterricht in der IT-Klasse Oberstufe, kurz vor der Prüfung. Wirtschaftsinformatik.
"Selina, wenn Sie mir nichts anderes zu erzählen haben, als das, was bereits auf Ihrer Folie steht, dann setzen Sie sich bitte wieder hin."
Ich bin wütend und enttäuscht. Die Klasse hatte sechs Stunden Zeit, um die Wiederholung der Grundlagen der Objektorientierten Programmierung arbeitsteilig zu bearbeiten und zu visualisieren und alles was sie hinbekommen haben, ist, rechts das Internet zu öffnen und links Power Point und dann rasch von rechts nach links kopiert. Sie können die Sätze, die auf der Folie stehen, nicht einmal fehlerfrei vorlesen.
Selina setzt sich. Das war nicht nett von mir, ich weiß. Aber just in diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, dass ich nach 20 Jahren "Death by Power Point" keine einzige solcher Präsentationen mehr ertragen kann.
Ich frage im Lehrerzimmer herum. Wie machen das die anderen? Der beste Hinweis kam von einem Deutschlehrer, der Werbekaufleute (jetzt Kaufleute für Marketingkommunikation) unterrichtet: "Presentation Zen" von Garr Reynolds.
Es lohnt sich, sich ausführlich mit der Website und dem Buch auseinanderzusetzen, denn seither sind meine Präsentationen und die meiner Schüler/innen wesentlich besser geworden. Garr Reynolds gibt viele Tipps zur Verbesserung, aber der Wichtigste ist der, den Leonardo da Vinci schon zu seiner Zeit genannt hat:
Einfachheit ist die höchste Form der Raffinesse.
Ich baue meine Unterrichtseinheit folgendermaßen auf (Zeitumfang 10 Stunden + Schülerpräsentationen)
- Ich zeige einen kleinen Film auf youtube zum Thema "Presentation Zen" - es gibt dort eine ganze Menge, mir gefällt die Einführung in den Apple Store ganz gut. Aber es gibt auch ein Original von Garr Reynolds.
- Dann halte ich an der Tafel fest, was die Schüler/innen herausgehört haben, wir besprechen offene Punkte.
- Die Schüler/innen erhalten Texte für eine arbeitsteilige Gruppenarbeit zu den folgenden Themen. Sie machen sich Notizen und besprechen den Text in der
Gruppe.
- Analoge Planung - das Ganze sehen.
- Die richtigen Fragen stellen! (+Fahrstuhltest, + Präsentationsdreisatz)
- Welche Ideen bleiben haften?
- Storytelling
- Die Kunst der Reduzierung
- Die Überlegenheit des Bildes
- Präsent sein während des Vortrags
- Dann wähle ich per Zufallsverfahren (Karten ziehen lassen) aus jeder Gruppe eine Person aus, die einen kurzen Vortrag zu dem Thema ihrer Arbeitsgruppe hält, nur mit den Notizen, ohne visuelle Unterstützung. Die Idee ist, dass die Schüler/innen wieder ein Gefühl dafür erhalten, dass es um einen Vortrag geht, nicht um das Vorlesen einer Power Point Folie. Der Rest der Arbeitsgruppe darf soufflieren. Beim Feedback zum Vortrag achte ich darauf, dass das Publikum in allererster Linie positives Feedback gibt. Es geht hier auch darum, dem Vortragenden den Rücken zu stärken. Man muss die Schüler/innen darauf ganz besonders hinweisen, denn sonst kommt erst mal Kritik, was ich hier für kontraproduktiv halte.
- Die Gruppen erstellen dann eine Zusammenfassung auf einer DINA4 Seite zu ihrem Thema, sodass jeder ein Handout aller sieben Themen besitzt.
- Die Schüler/innen erstellen eine Checkliste für den Vortrag, den sie halten werden und den ich benote - und zwar auf Basis einer gemeinsam abgestimmten Checkliste.
- Nun geht es an die Technik von Power Point - Die Schüler/innen bauen eine vorgegebene Präsentation nach. Da es ein sehr intuitives Programm ist, gebe ich den Schüler/innen ein Skript zu den wichtigsten Funktionen von Power Point und eine Folienübersicht der Folien, die sie nachbauen sollen. Die Folienübersicht habe ich aus dem Buch "Presentation Zen" entnommen, sie bildet dort das Vorwort. Hiermit stelle ich sicher, dass die Schüler/innen die Technik von Power Point grundlegend beherrschen.
- Jetzt erhalten die Schüler/innen die Aufgabe, sich in Gruppen von maximal 4 Schüler/innen aufzuteilen und dort eine Präsentation zu einem selbstgewählten Thema zu erstellen - es ist natürlich auch möglich, damit ein weiteres Unterrichtsthema zu "erschlagen" - im Großhandel z.B. lasse ich die Schüler/innen Unternehmenspräsentationen erstellen, manchmal auch Präsentationen zum Thema Hardware. Jeder Schüler ist für seine Folien und seinen Vortrag verantwortlich und wird dafür benotet. Trotzdem müssen die einzelnen Teile der Präsentation (ebenso wie das Layout) zusammen passen. Für die Vorbereitung der Präsentationen gebe ich in der Regel zwei Doppelstunden.
- Den Abschluss der Reihe bilden dann die Schüler/innen-Präsentationen, die ich anhand der Checkliste benote. Für die Beurteilung ziehe ich in der Regel noch eine weitere Schülergruppe heran oder auch alle andere Schülergruppen.
Es lohnt sich!
Es ist mir klar, dass der Zeitaufwand dafür etwas höher ist als das Thema "Präsentationen mit Power Point erstellen" sonst in Anspruch nimmt. Aber es gibt - außer meinem Selbstschutz :-) - noch einen weiteren wichtigen Grund für mich, das Thema in dieser Form zu verfolgen: Das, was ich in der Berufsschule vor mir habe, sind vielleicht die Manager/innen von morgen. Wäre es nicht wunderschön, wenn es in den Unternehmen mehr Presentation-Zen-Vorträge und weniger Bulletpoint-Vorträge gäbe? Ich glaube, wir erweisen der Menschheit damit einen Dienst. Schon in meiner Zeit bei IBM waren Folienvorträge gähnend langweilig und nur mit Dauer-Kaffee-trinken zu ertragen.
Zurück zu Selina
Übrigens: Selina hat mich angerufen, nachdem sie ihre mündliche Abschlussprüfung (die einen Power Point Vortrag beinhaltete) abgeschlossen hatte. Sie meinte, die Art wie ich ihr vermittelt hätte, dass der Vortrag so nicht geht, wäre nicht besonders angenehm gewesen, aber mein Einwand hätte sie gerettet. Sie hätte daraufhin ihre Präsentation für die IHK noch einmal komplett überarbeitet und eine sehr gute Note erhalten.
Je besser die Präsentation aussieht, desto mehr Menschen werden sich daran erinnern.
Noch wichtiger ist, dass sie sich an Sie erinnern werden.
(Paul Arden)
In diesem Sinne ein schönes Wochenende und eine gute Woche
wünscht Ute Matthias
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