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Zeit für ein bisschen Seelenhygiene

Oder:

Kommst du mit?

Wohin?

Auf dumme Gedanken!

 

Lesezeit: 5 Minuten

 

 

 

Ausgangssituation

Der Schüler trat ganz dicht vor mich hin. Viel zu dicht, als dass ich noch das Gefühl gehabt hätte, dass mein persönlicher Bereich gewahrt bleibt. Dann blickte er von oben auf mich herab - er war definitiv 20 cm größer als ich - und stieß hervor: "Wir mögen Ihren Unterricht nicht, Frau Matthias."

 

Ich blieb stehen, sah ihm direkt in die Augen und sagte: "Welchen Teil genau?"

 

Und er antwortete: "Alles!"

 

Ich sagte: "Gut, lassen Sie uns darüber sprechen. Aber bitte erst in der nächsten Woche, denn ich habe morgen eine Prüfung und bin ziemlich aufgeregt."

 

Und er antwortete: "Ungern. Die Sache ist wichtig für uns."

 

Reflexion

Haben Sie eine solche Situation auch schon einmal erlebt? Ja? das geht einem nach, oder? Das frisst einen richtig an. Man nimmt es vielleicht sogar noch mit in die Ferien.

 

Wir geben uns Mühe, oder? Wir sind auch nur Menschen. Wenn wir selbst eine Prüfung haben, dann haben wir vielleicht nicht so viele offene Ohren wie sonst.

 

Es ist in Ordnung zu sagen, dass einem das ein oder andere im Unterricht des Lehrers nicht gefällt. Dass man es gerne anders hätte. Es ist völlig in Ordnung, darüber in ein Gespräch kommen zu wollen. Aber der Termin muss für beide Seiten passen. Und Machtdemonstrationen, indem man dem Lehrer zu nah auf die Pelle rückt, um zu signalisieren, ja was eigentlich? Dass man keine Angst vor ihm hat? Na, das ist ja auch nicht nötig, nicht wahr? Völlig überflüssig.

 

Vielleicht denken Sie jetzt, ja der Schüler ist ja noch jung und der Lehrer müsste da doch eigentlich drüber stehen, aber wissen Sie was? In diesem Moment stand ich nicht darüber. Ich war angestrengt, hatten schon vier Wochen durchgearbeitet ohne Wochenende, weil ich meine Prüfung vorbereiten musste, daneben noch die üblichen Unterrichtsvorbereitungen, -nachbereitungen, Klassenarbeitskorrekturen.

 

Ich stand nicht drüber. Nein, ich fühlte mich einfach nur angegriffen und das zu Unrecht.

 

Umgang mit dem Säbelzahntiger

In Situationen, in denen wir uns angegriffen fühlen, da reagiert unser Gehirn wie damals im Angesicht des Säbelzahntigers. Flucht, Angriff oder Totstellen. Dazu wird ganz schnell Adrenalin ausgeschüttet und pulsiert durch unseren Körper.

 

Da wir aber in zivilisierten Zeiten leben, war es mir unmöglich eine der genannten Strategien zu verfolgen. Man stelle es sich vor: "Lehrer holt aus zum Angriff ..." oder "Lehrer fällt tot um und bewegt sich nicht mehr bis alle Schüler die Klasse verlassen haben" ... oder "Lehrer nimmt infolge der Kritik eines Schülers die Beine in die Hand und flüchtet aus dem Schulgebäude". Alles keine gangbaren Wege. Aber das Adrenalin ist noch da.

 

Runterkommen

Jetzt gibt es Kollegen, die wählen die Variante Sport, um sich zu beruhigen. Vorzugsweise ohne Wettbewerbscharakter, empfehlen Stressforscher. Andere wählen die Meditation. Noch andere die Progressive Muskelentspannung. Yoga. Tagebuchschreiben.

 

Ich wähle etwas anderes. Ich schreibe einen Kurzkrimi. Schreiben ist mein Hobby, Schreiben entspannt mich. Ich lasse mich inspirieren von meinem Erlebnis. Und es hilft die Gefühle, die da sind, zu verarbeiten. Es macht den Weg frei, wieder sachlicher über die Situation nachdenken zu können.

 

Kurzkrimi

Es regnete Bindfäden, als ich mit dem Auto in die Schulstraße einbog. Der dunkelgraue Himmel drückte von oben auf die Stadt und auf mein Gemüt. Wurde Zeit, dass der Frühling kam. Ich sah das Blaulicht schon lange bevor ich aufs Parkdeck fuhr und wunderte mich. Polizei in der Schule? Und so viel? Was war denn da heute Nacht passiert?

 

Ich zwängte mich in die Parklücke direkt neben der Treppe, da ich meinen Schirm zuhause hatte liegen lassen und überlegte, wie ich möglichst schnell ins Schulgebäude gelangen könnte, ohne komplett nass zu werden. Ich kam zu dem Ergebnis, dass das schwer möglich sein würde und zog meinen Schal über den Kopf, bevor ich die Autotür öffnete. Als ich mich hinaus in die Nässe schob, ging gerade meine Kollegin Sandra Heller an meinem Auto vorbei und sah mich fragend an.

 

"Weißt du, was passiert ist?"

 

"Nein, keine Ahnung. Es kam gestern auch keine Mail mehr von der Schulleitung, zumindest habe ich keine gesehen."

 

"Hoffentlich nichts Schlimmes ..."

 

"Naja, wird schon nicht sein. Vielleicht eine Art Übungseinsatz für Amokfälle in der Schule. Oder irgendwas mit Drogen. Lass mal schnell reingehen, ich bin schon tropfnass."

 

Wir näherten uns der Glastür am Seiteneingang und sahen den Polizisten dahinter. Als wir aufschlossen, kam er auf uns zu:

 

"Guten Morgen. Sie arbeiten hier? Wie sind Ihre Namen? Bitte kommen Sie direkt zum Lehrerzimmer, es wird in wenigen Minuten eine Ankündigung seitens der Schulleitung und uns geben."

 

Durch ein Seitenfenster sah ich das Absperrband vor dem Haupteingang der Schule. Dahinter knieten weiß gekleidete Menschen und beugten sich über eine am Boden liegende Gestalt.

 

Beide starrten wir durch das Fenster, unfähig uns zu bewegen. Der Polizist kam und führte uns weg, nach vorne zum Lehrerzimmer. Wir bestürmten ihn mit Fragen:

 

"Was ist denn hier passiert? Wer oder was liegt da draußen vor dem Eingang? Wo sind die Schüler? Ist Gefahr im Verzug?"

 

[...]

 

Vorgehen

Ich lasse mich einfach treiben. Ich schreibe keinen bösen Plott. Ich plane nicht, wer oder was stirbt, wer oder was schuld ist. Ich schreibe einfach. Solange bis mein Ärger verraucht ist. Manchmal ist der Kurzkrimi dann fertig. Manchmal nicht. Darauf kommt es nicht an. Für mich kommt es darauf an, mich abzulenken, die negativen Gefühle wegzuschreiben. Ich bin also ein Wutschreiber, das habe ich hier gelernt. Mark Twain war auch einer. Vielleicht wird doch noch was aus mir. Also autorentechnisch dachte ich jetzt ;-)).

 

Und Sie?

Wie gehen Sie mit Säbelzahntigersituationen um? Was sind Ihre Rezepte? Bin gespannt!

 

Ich wünsche allen eine entspannte Ferienzeit ohne wiederkehrende Gedanken an schwierige Schulsituationen. Und wenn doch, dann versuchen Sie doch mal meine Methode: Schreiben Sie einen Kurzkrimi!

 

Herzliche Grüße

Ute Matthias

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