· 

Ach lass mich doch in Ruhe mit der Schule

... wenn diese Worte nicht mehr nur von meinen Kindern kommen, sondern auch von einer Lehrerin, dann ist es Zeit, darüber nachzudenken, wo der Hase im Pfeffer liegt.

 

Dazu möchte ich heute ein Tool zeigen, das man auch zum Selbstcoaching verwenden kann.

 

Vorstellung des Anliegens

Als ich Frau Schneider begrüße, macht sie einen etwas skeptischen Eindruck. Eigentlich löse sie ihre Probleme lieber alleine, ist einer der ersten Sätze, die ich von ihr höre. Ich lächle nur und sage, dass das doch auch so bleiben könne.

 

"Ich sehe mich nicht als Problemlöser meiner Klientinnen," erkläre ich ihr. "Ich sehe mich als ihr Geburtshelfer für eigene Lösungen."

 

Als wir uns gemütlich im Coachingraum gegenübersitzen und Frau Schneider eine Tasse heißen grünen Tee in den Händen hält, fängt sie an zu erzählen. Dass sie eigentlich immer gerne Lehrerin war, sich aber in der letzten Zeit so müde fühlt. dass sie oft nicht mehr weiß, warum sie noch in die Schule gehen soll. Es liegt weniger an den Schülern, mehr an den organisatorischen Bedingungen in ihrer Schule und dem ihr fehlenden richtigen Ziel. Sie ärgert sich über viele Sachen, die sie früher zwar auch als störend empfunden hat, aber nicht so wichtig genommen hat. Sie fühlt sich überbeansprucht, kontrolliert, ihren Einsatz nicht wirklich honoriert. Sie ist unzufrieden, es ist ein großes Gefühl und es lässt sich immer weniger unterdrücken. Sie ist 45 Jahre alt. Will sie wirklich noch umsatteln? Sie weiß es nicht. Sie weiß nur, es muss sich etwas ändern in ihrem Leben. Sie muss wieder zufriedener werden oder sie muss etwas Neues anfangen. Aber welche Richtung sie dazu gehen soll, das weiß sie nicht.

 

Ich bitte sie, ihr Anliegen so konkret wie möglich zu formulieren, z.B. als Fragestellung. Nach einigem Aufschreiben, streichen und wieder neu formulieren, steht vorne am Flipchart folgende Frage:

 

Wie kann ich mein Leben so gestalten, dass ich wieder mehr Spaß und Freude daran habe?

 

Das ist zunächst überraschend, da es ja bisher nur um das Thema Schule ging, zeigt aber auf, dass die Unzufriedenheit von Frau Schneider möglicherweise noch andere Ursachen hat und daher auch von verschiedenen Seiten angegangen werden kann.

 

Ich schlage Frau Schneider vor, erst einmal eine Bestandsaufnahme ihres aktuellen Lebens zu machen und sie ist einverstanden.

 

Die Anleitung zu diesem Tool stammt von Professor Dr. Manuel Tusch, meinem Ausbilder, und wurde auch einem breiten Publikum zugängig gemacht in dem Buch "Ich will so werden wie ich bin."

 

Visualisierte Bestandsaufnahme des aktuellen Lebens

Also drücke ich ihr Moderationskarten verschiedenen Formats, Farbe und Größe in die Hand und einen dicken Edding und bitte sie, für jeden Teilbereich ihres Lebens eine Karte auszuwählen. Die Karte sollte subjektiv zum Lebensbereich passen, d.h. wenn ein Lebensbereich sehr viel Platz einnimmt, dann sollte auch eine große Karte gewählt werden. Wenn ein Bereich besonders zu kurz kommt, signalisiert das eine kleine Karte. Auch bedeutsame Personen können eine Extrakarte bekommen.

 

An meinem Flipchart habe ich folgende Denkanregungen notiert:

  • Beruf
  • Liebe
  • Kinder
  • Familie
  • Hobbys, Leidenschaften, Liebhabereien
  • Freunde und Bekannte
  • Ehrenamt, Verein ...

Auf jeder Karte wird neben dem Bereich noch ein Wort zur Bewertung vermerkt, das den Bereich für Frau Schneider charakterisiert. Beispiele wären "Berufung", "Irrenhaus", "Vollidiot" oder "Seelenmensch", "Ruheinsel", "Aufbauort" ... oder was immer ihr einfällt.

 

Ich sage ihr noch, dass es ganz wichtig ist, ehrlich zu sich selbst zu sein, was die Charakteristika angeht und lasse sie dann mit einem großen Flipchartbogen, bunten Stiften, Kleber, den Moderationskarten und Eddings eine Weile alleine.

 

Erläuterung des "Jetzt-Bildes"

Als ich wieder eintrete, zeigt mir Frau Schneider das obige Bild, das ist in der Zwischenzeit angefertigt hat (anonymisiert und verfremdet):

 

Sie erläutert:

 

In der Mitte des Bildes habe ich die Arbeit geklebt. Sie nimmt überdimensional viel Raum in meinem Leben ein, gleichzeitig nehme ich sie als kräftezehrend wahr. Mir hängt die Zunge raus, wenn ich nur an sie denke. Damit in Verbindung steht meine Frage nach dem Lebenssinn. Ist Lehrerin sein wirklich meine Berufung? Und wenn nicht, was ist dann meine Berufung? Und würde ich sie noch leben, also nochmal umsatteln, wenn ich sie dann gefunden hätte? Welche Möglichkeiten habe ich diesem Bereich mehr Zuwendung zu geben, damit er sich entwickeln kann?

 

Mein kleiner Sonnenschein Frido, inzwischen 6 Jahre alt, macht mir viel Freude, ist natürlich aber auch anstrengend. Er kommt in diesem Jahr in die Schule und ich frage mich, wie ich es anstellen soll, dass ich ihn gut betreuen kann im ersten Schuljahr, während ich es selbst ja kaum schaffe, meine Schularbeit termingerecht zu erledigen. Dann frage ich mich auch, welches Bild von Schule ich ihm vermittle, wenn ich mich zuhause in meinem Arbeitszimmer vergrabe und schlecht gelaunt wieder herauskomme - weil ich wieder mal nicht fertig geworden bin.

 

Mein Mann, Jens, ist eigentlich meine große Liebe. Allerdings sind unsere gemeinsamen Abende in den letzten Jahren immer rarer geworden. Jens interessiert sich wenig für meinen "Schulkram" wie er es nennt und ist meist mit seiner Arbeit beschäftigt. Zunehmend ist er auch auf Auslandsreisen unterwegs und manchmal frage ich mich, was er da so treibt. Wie er damit umgeht, dass er da vielleicht auf Frauen trifft, die besser gelaunt sind als seine eigene. Daher ist hier mein Symbol "Augen auf"!

 

Meine Freundinnen, die ich alle schon lange kenne, sind meine Festhaltepunkte. Egal was in meinem Leben passiert, ich kann mich auf sie verlassen. Allerdings sehe ich sie kaum, vorbei die Mädelsabende ... auch das ist meiner Arbeit und der Betreuung von Frido zum Opfer gefallen.

 

Frau Schneider sieht traurig auf den kleinen lila Kreis.

 

"Eines Tages", sagt sie, "ist das Leben vorbei und dann werde ich denken, warum habe ich denn nur so viel gearbeitet und so wenig Platz für anderes gelassen. Aber ich kriege es einfach nicht anders hin."

 

"Auftanken kann ich nur beim Sport. Ich mache Yoga und gehe zur Rückengymnastik. Diese beiden Termine am Mittwochabend und am Samstagvormittag sind mir heilig. Ich habe bei meinem Mann dafür gekämpft und auch die Arbeit lasse ich für diese zwei Stunden ruhen. Sonst drehe ich auch durch", betont sie mit Nachdruck.

 

Was ist aktuell das Wichtigste?

Ich fordere Frau Schneider auf, einen kleinen Schritt zurückzutreten und das Flipchart noch einmal aus etwas Entfernung zu betrachten. Was wäre ihr größter Wunsch, wenn sie so auf diese Weise einen Blick auf ihr Leben wirft?

 

"Ich glaube, das Wichtigste ist momentan für mich, mir Zeit zu nehmen, um herauszufinden, was meine Bestimmung sein könnte. Ich bin jetzt schon über die Mitte meines Lebens hinaus und möchte nicht Gefahr laufen die ganze Zeit in die falsche Richtung zu laufen."

 

Kleine Aufgabe zum nächsten Mal ...

Da die Zeit für diese erste Sitzung sich dem Ende zuneigt, mache ich Frau Schneider den Vorschlag, sich bis zum nächsten Treffen zu einem festen Zeitpunkt jeden Tag 15 Minuten Gedanken darüber zu machen, was ihre besonderen Stärken, Talente und Fähigkeiten sind. Welche Dinge im Leben fallen ihr leicht? Dies soll sie in einem schönen Notizbuch, das extra zu diesem Zweck angeschafft wird, notieren. Sie ist einverstanden und entscheidet sich, das jeweils in den 15 Minuten zu tun, die auf das Zu-Bett-Bringen ihres Sohnes folgen.

 

Wie geht es weiter?

Bei der nächsten Sitzung wird Frau Schneider dann ein zweites Bild gestalten, das ihr Leben so zeigt, wie sie es gerne hätte. Und sich Gedanken darüber machen, wie die Schritte aussehen können, um sich vom "Jetzt" zum "Ziel" zu bewegen.

 

Wir dürfen also gespannt sein, wie es in zwei Wochen weitergehen wird und vielleicht ist es auch eine kleine Anregung für Sie, mal eine Bestandsaufnahme Ihres aktuellen Lebens zu machen, um zu sehen, ob noch alles an der richtigen Stelle "sitzt"?

 

In diese Sinne eine gute Zeit

wünscht Ute Matthias

Kommentar schreiben

Kommentare: 0