Fortsetzung von: Ach lass mich doch in Ruhe mit der Schule!
Als Frau Schneider dieses Mal in meine Praxis kommt, wirkt sie weniger gestresst, aber nachdenklich.
Ich frage sie, wie es ihr ergangen ist mit der Frage, welche Stärken, Talente und Fähigkeiten sie hat.
Sie zieht ein kleines rotes Heftchen aus ihrer Handtasche und reicht es mir. Darin steht:
Meine Stärken:
- hilfsbereit
- geduldig
- ausdauernd
- zuverlässig
- gewissenhaft
- genau
- analytisch
- kritisch
Was fällt mir leicht?
Frido etwas vorlesen, ein gesundes Essen kochen, die Daten in meinen Arbeitsblättern aktuell halten, die Kinder meiner Freundin hüten, mit Frido spazieren gehen, meiner Schwiegermutter beim Einkaufen helfen (sie ist schlecht zu Fuß), Frido die Welt erklären ;-)), dazu auch recherchieren und in die freie Natur gehen.
Was mache ich gerne?
Ich bin gerne mit Kindern zusammen. Lieber als mit Jugendlichen. Jugendliche interessieren sich nur noch für ihre Dinge, an der Schule haben sie überhaupt kein Interesse mehr. Kinder sind so begeisterungsfähig, wollen immer etwas Neues lernen.
Ich blicke sie an und warte ab.
Mehr Klarheit
"Es ist mir klar geworden, dass ich gerne mit Kindern zusammen bin. Mit meinem eigenen und auch mit denen meiner Freundin. Auch alle Kinder, die Frido mitbringt, werden bei mir herzlich begrüßt. Der Garten ist ständig voll mit den kleinen Zwergen jetzt im Sommer. Ich führe ein offenes Haus. Obwohl ich so viel zu tun habe, halte ich mir die Nachmittage frei, um mit den Kindern zu sein.
Ich habe darüber nachgedacht, was das für mich bedeutet. Möchte ich einfach noch einmal Mutter werden, möchte ich in den Kindergarten gehen als Erzieherin (sie lacht) oder ist einfach meine Zielgruppe als Lehrerin die Falsche?
Ich arbeite in der Sekundarstufe II mit Jugendlichen. Die meisten von ihnen haben nicht die geringste Lust, sich in der Schule zu engagieren. Sie interessieren sich für das andere Geschlecht, für Musik, für Partys und für Drogen. Das ist meine Wahrnehmung. Sie interessieren sich nicht für Deutschaufsätze und Vererbungslehre. Jedenfalls nicht bei mir.
Grundschule als Option
Ich habe letztens einen Aufruf gelesen, dass Lehrereinsteiger mit Sek II Ausbildung doch in die Grundschule gehen sollen, dort besteht ein ganz großer Bedarf. Das hat mich angesprochen. Ich überlege, ob es vielleicht möglich ist, mal ein Jahr in einer Grundschule zu unterrichten. Zu gucken, ob das, was mich eigentlich an meinem Beruf fasziniert hat, vielleicht dort zu finden ist.
Ein weiteres Kind?
Es sind die kleinen Kinder, die mich ansprechen. Tatsächlich denke ich auch selbst darüber nach, noch ein zweites Kind zu bekommen. Mein Mann hätte nichts dagegen, solange es ihn nicht einschränken würde in seinen beruflichen Zielen einschließlich der Auslandsaufenthalte. Ich wäre eine Menge alleine, aber wenn mir das nichts ausmachen würde, dann wäre es okay für ihn. Ich frage mich, ob 45 dafür schon zu alt ist, aber der Kinderwunsch ist groß in mir.
Weitere Optionen
Sollte die Geschichte mit der Grundschule nicht möglich sein, so könnte ich mir auch vorstellen, meine Stundenzahl zu reduzieren, sodass ich einen Tag frei habe. Diesen würde ich nutzen, um Vorlesemama im Kindergarten oder in der Grundschule zu werden. Auch dort werden Lesemamas zur Unterstützung gesucht.
Ich brauche mehr Leichtigkeit in meinem Leben und die vermitteln mir Kinder. Das ist mir so klar geworden."
Ich warte eine Weile ab, doch Frau Schneider scheint fertig zu sein mit ihren Überlegungen.
Zusammenfassung
"Wenn ich Sie richtig verstanden habe, so ist Ihnen klar geworden, dass Sie sich danach sehnen mehr Kontakt mit Kindern zu haben und weniger mit Jugendlichen. Dass also das von Ihnen in unserer ersten Sitzung geschilderten Problem der Müdigkeit und Lustlosigkeit doch mehr mit der Klientel als nur mit der Administration zu tun hat?"
Frau Schneider nickt.
"Als Ideen für eine Neuorientierung haben Sie folgende Möglichkeiten gesammelt:
- Lehrerin an einer Grundschule
- Ein eigenes zweites Kind
- Vorlesemutter im Kindergarten
- Lesemutter in einer Grundschule
Fallen Ihnen noch weitere Möglichkeiten ein, die Sie Ihrem Ziel näherbringen würden?"
An dieser Stelle rücke ich den Flipchartbogen mit dem Ziel aus der ersten Sitzung noch einmal in ihr Gesichtsfeld.
Wie kann ich mein Leben so gestalten, dass ich wieder mehr Spaß und Freude daran habe?
"Ja, da fallen mir noch eine Menge Sachen ein, allerdings nicht, was die berufliche Ausrichtung angeht. Wenn ich meine Jetzt-Bild vom letzten Mal betrachte, so denke ich, dass das Feld Partnerschaft und das Thema Freundinnen mehr Aufmerksamkeit braucht. Aber wie ich schon beim letzten Mal gesagt habe, liegt mein Fokus aktuell auf der Verbesserung meiner beruflichen Situation. Und da bin ich einen bedeutenden Schritt weitergekommen."
Nachsatz
Ich habe Frau Schneider ein halbes Jahr später zufällig beim Einkaufen getroffen. Sie begrüßte mich fröhlich. Sie erzählte mir, dass sie wieder schwanger ist und sich sehr auf ihr zweites Kind freuen würde. Während der Zeit, die sie mit ihrem zweiten Kind zuhause verbringen würde, würde sie Lesemutter in der Grundschule um die Ecke werden. Das gäbe ihr die Gelegenheit die Grundschule noch einmal aus der Nähe zu betrachten und auch Kontakt zur Rektorin zu knüpfen, falls sich ihr Wunsch an die Grundschule zu wechseln verfestigen würde. Es gehe ihr richtig gut jetzt, sagte sie. Die Schwangerschaft wäre zwar ein wenig anstrengend, aber sie hätte das Gefühl, dass sie in die richtige Richtung gehe.
Schönes Ergebnis, dachte ich.
Ich wünsche all meinen Leserinnen und Lesern eine gute Woche! Und nehmen Sie ruhig mal ein kleines Notizbuch in Ihre Tasche und notieren sich Ihre Stärken, die Dinge, die Sie gerne machen und die Ihnen leicht fallen. Wie Sie sehen, führt das manches Mal zu ganz neuen Einsichten. In diesem Sinne ...
Herzliche Grüße
Ute Matthias
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