· 

3 Wochen digitaler Unterricht - eine Bilanz

"Aileen, stecken Sie jetzt bitte das Handy weg und berechnen Sie den Deckungsbeitrag."

 

"Hassan, erklären Sie mir doch mal in Ihren eigenen Worten, wozu ein Deckungsbeitrag dient."

 

"Gero, Sie haben in der Prüfungsaufgabe die 4 angekreuzt, die 5 ist richtig. Was hat Sie bewogen, die 4 zu wählen?"

 

"Niklas, können Sie Ihren Klassenkameraden erklären, wie Sie zu der Wenn-Funktion gekommen sind?"

 

Das alles war im digitalen Unterricht - zumindest in der von mir gewählten Form ohne Videochat - nicht möglich.  Ich kann den Schüler nicht auffordern bei der Sache zu bleiben. Ich kann nicht überprüfen, ob er wirklich verstanden hat, was er aufschreibt (und abschreibt). Ich kann nicht aufdecken, warum eine falsche Lösung angekreuzt wurde. Und ich kann ihn nicht bitten, seinen Klassenkameraden den Lösungsweg zu erklären.

 

Mein Fazit: Online-Unterricht ersetzt keinen Präsenzunterricht. Online-Unterricht ergänzt höchstens den Präsenzunterricht.

 

Bei uns in der Schule - und seitens des Ministeriums in NRW - war der Ansatz "Wochenaufgabe". Es stellte sich jedoch heraus, dass viele Schüler/innen sich einfach überfordert fühlten bei der Aufgabe sich die Zeit für eine Wochenaufgabe selbst einzuteilen. In Klassen mit jüngeren Schüler/innen hat es bei mir besser funktioniert "Tagesaufgaben" zu geben oder "Zweitagesaufgaben". Beim Pensum für eine Woche wären die Schüler/innen komplett überfordert gewesen.

 

Fazit: Die Zeiteinteilung muss man vorher lernen, sie ist nicht ad hoc in einer sowieso präkeren Situation abrufbar.

 

Ich habe mir in Abschlussklassen im Fach BWR Tagesaufgaben einreichen lassen (mein Postfach quoll jeden Tag über - die Aufgaben müssen alle auch kontrolliert oder wenigstens angesehen werden), habe vereinzelt Kommentare zurückgeschrieben, immer jedoch eine Lösung gemacht und sie den Schüler/innen über verschiedene Wege zukommen lassen. Haben sie sich die Lösung angesehen? Ich weiß es nicht. Daher weiß ich auch nicht, ob der Stoff jetzt verstanden wurde oder nicht. Einige mögen argumentieren, dass man das im Präsenzunterricht auch nicht immer weiß. Das ist korrekt, aber ich bilde mir ein, dass ich durch die Reaktionen der Schüler/innen zumindest ein bisschen besseres Bild habe. Oder auch mal spontane Miniaufgaben machen kann.

 

Fazit: Selbstkontrolle muss vorher auch bekannt und gut eingeübt sein.

 

Meine Informatikschüler/innen haben reihenweise die gleichen Aufgaben abgegeben. Will heißen, einer hat die Lösung gemacht (mit Fehlern), die anderen haben sie abgegeben - ohne zu merken, dass da Fehler drin sind (evt. auch ohne überhaupt nachzusehen). Natürlich habe ich das gemerkt und mir entsprechend notiert. Einige wenige haben sich Mühe gegeben und individuelle Ergebnisse abgeliefert. Informatikaufgaben per E-Mail einreichen zu lassen ist definitiv eine schlechte Idee. Ich selbst habe aber ganz viel gelernt, denn ich kann jetzt einen Screenrecord machen und dazu sprechen und so einen eigenen kleinen Video produzieren.

 

Fazit: In Informatik ist es wichtig, ein Abgabetool zu finden, bei dem es für die Schüler/innen nicht so einfach ist, eine kopierte Antwort einzureichen.

 

Was nehme ich positiv aus dieser Phase mit?

  1. Padlet ist ein tolles Tool, das den Unterrichtsstoff wirklich übersichtlich strukturiert und sich auch Schüler/innen, die nicht so computeraffin sind (und damit meine ich nicht, dass sie ihr Handy bedienen können), dort gut zurechtfinden.
  2. MS Teams ist ein hilfreiches und mächtiges Tool, allerdings muss es vorher im Unterricht eingeübt werden, sonst finden sich die Schüler/innen nur schlecht zurecht.
  3. Schüleraufgaben mit offenen Fragen und alternativen Lösungsmöglichkeiten erbrachten die besten Ergebnisse, da hier dem Schüler klar war, dass er individuelle Lösungen erbringen muss.
  4. Ich wurde gezwungen zu all meinen Aufgaben, ob Wirtschaft oder Informatik Lösungen anzufertigen, die mehr oder weniger selbsterklärend sind.
  5. Online-Unterricht erfordert von Schüler/innen und Lehrer/innen wesentlich mehr Disziplin und Selbstmanagement. Wer von den Schüler/innen weniger Fähigkeiten zum Selbstlernen mitbringt oder nicht so ambitioniert ist, scheitert hier viel schneller. Einer meiner Schüler hat gar nicht angefangen mitzuarbeiten und Lösungen abzugeben, es war ihm alles "zu schwer". Als Lehrer/in ist es auch schwer ständig dranzubleiben, alle Lösungen immer im Blick zu haben, zu antworten, Feedback zu geben und vor allem - die Beziehung zu halten.

Sorry Leute, ich habe echt viel gelernt und es ist auch noch viel offen, was ich ausprobieren kann, aber ich bin echt froh, wenn ich wieder in der Schule bin. Bei echten Schüler/innen und echten Kollegen/innen und im echten Austausch. Möge der Corona-Virus an uns vorübergehen.

 

In diesem Sinne wünsche ich allen viel Gesundheit

eine schöne Osterferienzeit mit guten Ideen, was man zuhause so alles machen kann

und dann wünsche ich uns, dass die Krise endet!

 

Gerne höre ich auch von Ihren Erfahrungen aus dieser Zeit

und grüße Sie freundlich

Ute Matthias

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Anja Schepers (Freitag, 03 April 2020 15:10)

    Liebe Ute,

    mir geht es so wie Dir. Ich arbeite lieber vor Ort mit den Schülern.
    Ich habe seit gestern Zoom für mich und meine Schüler entdeckt. Auch das hat Schwächen und fordert viel Selbstdisziplin von allen Beteiligten.
    Ich habe keinen wirklichen Überblick, wie die Schüler gearbeitet haben.
    Es wird unsere Digitalisierung vorantreiben und ich glaube, wir werden unsere Schüler in Zukunft zu mehr Eigenständigkeit erziehen. Das ist auf jeden Fall ein positiver Aspekt, den ich sehen kann.
    Vielen Dank für den Einblick in dein HomeOffice.
    Liebe Grüße
    Anja

  • #2

    Ute (Dienstag, 07 April 2020 15:18)

    Danke für deine Rückmeldung, Anja �