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Wenn die Schüler einen neuen Lehrer wollen ....

Kurz vor den Weihnachtsferien im Lehrerzimmer. "Du Ute, die IT-Klasse hat sich bei mir über dich beschwert. Sie sagen, sie verstehen nichts in deinem Unterricht und du besprichst die Hausaufgaben nicht richtig. Sie haben Angst, dass sie die Prüfung nicht schaffen. Da musst du dich unbedingt drum kümmern," sprach meine Kollegin und verschwand. Ich blieb zurück und guckte ratlos aus der Wäsche. Meine IT-Klasse? Die nette? Die mit den wenigen fleißigen und vielen freundlichen, aber ziemlich faulen Schülern? Hat sich über mich beschwert? Ohne vorher mit mir zu reden? Unfassbar.

 

Ich gehe in die Ferien. Ich denke nach. Was habe ich nur falsch gemacht? Okay, da war einmal die Situation, wo ich das Gefühl hatte, die Schüler sind so desinteressiert, dass ich ihnen die Lösung der Aufgaben in Heimarbeit überlassen habe. Ja, und dann gab es noch eine Situation, wo wenig Zeit für die Besprechung der Klassenarbeit war und ich vielleicht ein wenig zu zügig durch die Musterlösung gegangen bin. Aber sonst? Ich verstehe es nicht, aber es beschäftigt mich sehr. Ich spreche mit einer Freundin, die Psychologin ist, wie ich mit der Situation umgehen soll. Diese rät mir dazu, die Beschwerde offen anzusprechen und mit Hilfe von Moderationskarten eine Abfrage zu machen, damit die konkreten Themen offen werden.

 

Im neuen Jahr bitte ich unsere Sozialpädagogin mich zu begleiten, den Prozess zu beobachten und mich gegebenenfalls zu unterstützen. Ich nehme Moderationskarten und dicke Stifte in die Klasse und sage: "Ich habe gehört, dass ihr mit meinem Unterricht unzufrieden seid und mit eurer Klassenlehrerin darüber geredet habt. Schade, dass ihr mich nicht direkt angesprochen habt. Ich würde gerne von euch genauer wissen, was der Inhalt eurer Beschwerde ist und damit sich auch jeder äußern kann, habe ich Moderationskarten mitgebracht. Bitte nehmt euch eine passende Anzahl Moderationskarten und schreibt auf jede Karte ein Thema, das euch in meinem Unterricht stört. Danach bringt ihr bitte die Karten nach vorne und hängt sie an die Tafel."

 

Diese Aktion hat mich schon etwas gekostet. Ich war ganz schön aufgeregt, aber auch gespannt, was herauskommen würde. Die Übung zum "Sicheren Ort" hat mir geholfen, etwas Standfestigkeit zu gewinnen.

 

Nach und nach füllte sich die Tafel mit Kärtchen, die Schüler/innen clusterten gleich, sodass sich nachher fünf Problembereiche herauskristallisierten, über die wir sprechen konnten. Das war bereits eine ernorme Hilfe für mich, da ich jetzt wusste, worüber wir reden.

  1. Lautstärke - zu hoch
  2. Klassenarbeitsbesprechung - muss ausführlicher erfolgen
  3. Umgang mit offenen Fragen aus dem Unterricht unbefriedigend
  4. Mehr Prüfungsaufgaben im Unterricht
  5. Mehr Erklärung zu schwierigen Themen

Das erste Thema "Lautstärke" war recht schnell abgehandelt. Die Sozialpädagogin erläuterte den Schüler/innen, dass die Lautsärke von ihnen abhängt. Nur sie können den Mund schließen und damit die Lautstärke reduzieren. Klar kann der Lehrer ermahnen und auch mal Leute aus der Klasse in den Trainingsraum schicken, aber bei dieser Klientel - alle mit Abitur und zwischen 19 und 22 Jahre alt - sollte es doch möglich sein, ohne diese Maßnahmen auszukommen, wenn alle daran Interesse haben.

 

Das zweite und vierte Thema ließ sich ebenfalls schnell abhandeln. Natürlich habe ich mich bereit erklärt, für die Klassenarbeitsbesprechung beim nächsten Mal mehr Zeit einzuplanen. Auch das Einbeziehen von weiteren Prüfungsaufgaben in den Unterricht oder die Hausaufgabe gestand ich ihnen gerne zu. Allerdings hatten sie noch gar nicht gemerkt, dass ich bereits zu fast jedem Thema Prüfungsaufgaben in meine normalen Übungsaufgaben integriert hatte. Auch gut, dass wir darüber gesprochen haben.

 

Thema 3, "Umgang mit offenen Fragen aus dem Unterricht", wurde von einem sehr fleißigen und freundlichen Mädchen eingebracht, das sich zuhause öfters noch mit den Unterrichtsthemen beschäftigte und dabei das Problem hatte, dass manchmal neue Fragen auftauchten, die aber in der nächsten Stunde keinen Platz mehr fanden, da wir meist ein neues Thema begannen. Auch dafür konnte eine Lösung gefunden werden: Ich bat die Schüler/innen mir bei offenen Fragen eine Mail zu schreiben, sodass ich mich vorbereiten und die Zeit in der kommenden Stunde einplanen konnte.

 

Blieb das Thema 5: Mehr Erklärung zu schwierigen Themen. Das war schwammig. Bei welchen Themen gab es denn zu wenig Erklärung? Haben die Schüler/innen nachgefragt? Wie habe ich reagiert? Es zeigte sich, dass die Schüler/innen sich auf eine Situation bezogen, bei der ich im Unterricht den Eindruck hatte, die Schüler/innen geben sich keine Mühe, eine Übungsaufgabe selbst zu bearbeiten, für die ich bereits eine Musteraufgabe an der Tafel gelöst hatte. Als auch nach einer Viertelstunde noch immer niemand einen Lösungsansatz vorweisen konnte, sagte ich ihnen, dass ich bei so wenig eigenem Bemühen die Aufgabe nun nicht mehr vorrechnen würde, sondern ihnen überlassen würde, sich zuhause mit Hilfe des Buches damit noch einmal genauer zu befassen.

 

Es war eine einzelne Situation, die diesen Unmut ausgelöst hatte. Aber wenn die Schüler/innen dann mal sauer sind, dann sind sie auch sauer. Und rufen "Ich will einen anderen Lehrer!" Genau wie unsere Kinder manchmal rufen "Ich will andere Eltern!"

 

Wir redeten noch eine ganze Weile über Punkt 5, ich erklärte auch, wieviele Themen der Stoffplan für Wirtschafts- und Geschäftsprozesse im IT Bereich umfasst  - nämlich ausgesprochen viele - und dass es da eben auch notwendig ist, selbst zuhause einmal ein Thema zu vertiefen...

 

... da plötzlich stand ein Schüler auf ( wir befanden uns in einem Computerraum) und rief in die Runde: "Leute, jetzt mal ehrlich: Guckt euch doch um. Während Frau Matthias hier auf eure Beschwerden eingeht, sitzt die Hälfte von euch vor dem Rechner und guckt sich privat irgendwelche Seiten im Internet an*. Und so ist es doch auch im Unterricht. Wer hier etwas lernen will, der hat dazu jede Möglichkeit. Wer nichts lernen will und lieber chillt oder spielt, der lernt nichts. Also beenden wir doch die Diskussion jetzt endlich und machen weiter im Stoff. Ich will jedenfalls die Prüfung schaffen!"

 

Das war Balsam auf meine Lehrerseele! Klar, sowas passiert nicht immer, aber manchmal hat man halt auch Glück.

 

Es lohnt sich auf jeden Fall immer, die Unzufriedenheit der Schüler/innen anzusprechen und die Themen wirklich sichtbar zu machen. Dann weiß man, worüber die Schüler/innen sprechen. Und kann Lösungen finden. Der ganze Prozess hier hat bestimmt 3 Schulstunden gedauert, aber ich habe das nicht bereut, denn es hat viel geklärt und das Lehrer-Schüler-Verhältnis wieder geöffnet. Es war danach nicht alles anders in der Klasse, es gab noch immer einige Schüler/innen, die lieber im Internet surften als zuzuhören, aber der Himmel nach dem Gewitter hatte sich wieder gelichtet, sodass ein geregeltes Arbeiten wieder möglich war.

 

Mir sind solche Situationen in meinem 20-jährigen Lehrerleben nicht so oft begegnet, vielleicht 3-4 Mal, aber ich habe festgestellt, dass Ignorieren nichts hilft und man solche Konflikte immer offen ansprechen muss, damit der Unterricht wieder richtig funktionieren kann.

 

Wie sieht es bei euch/Ihnen aus? Schon mal eine solche Situation erlebt? Wie sind Sie/bist du damit umgegangen? Freue mich über Kommentare und wünsche allen ein schönes Wochenende.

 

Herzliche Grüße

eure Ute Matthias

 

*Man kann bei uns das Internet sperren. Wenn wir jedoch auf unserer Lernplattform moodle arbeiten, ist das Internet offen und bietet damit natürlich die Gelegenheit auch andere Sachen dort zu machen.

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